Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Er hat etwas erfahren, und das hat er Ihnen gesagt.«
Kastler schüttelte den Kopf; Schweißperlen rannen ihm über die Stirn. O’Brien durfte nicht erfahren, wie wichtig Chasŏng war — solange Peter nicht selbst herausgefunden hatte, was das alles zu bedeuten hatte. Denn je tiefer er einstieg, desto ausgeprägter wurde seine Überzeugung, daß Alisons Leben auf dem Spiel stand.
»Lassen Sie mir bis morgen Zeit«, sagte er.
»Warum?«
»Weil ich das Mädchen liebe.«
Bromley sah in den zersprungenen Spiegel über der Kommode, an deren mittleren Schubladen die Knöpfe fehlten. Was er sah, erfüllte ihn mit Betrübnis: das bleiche Gesicht eines kranken, alten Mannes. Seine grauen Bartstoppeln waren nicht zu übersehen; er hatte sich seit mehr als achtundvierzig Stunden nicht mehr rasiert. Und der viele Platz zwischen dem schmutzigen, gestärkten Kragen und seinem Hals war ein weiterer Beweis seiner Krankheit. Er hatte nur noch sehr wenig Zeit, aber es mußte reichen. Unbedingt.
Er wandte sich vom Spiegel ab und ging zum Bett hinüber.
Die Steppdecke war schmutzig. Er musterte Wände und Decke. Überall waren Sprünge, und die Farbe blätterte ab.
Die bildeten sich ein, sie hätten ihn jetzt in der Falle, aber ihre Arroganz war nicht berechtigt. Man schuldete ihm ein paar Gefälligkeiten. Wenn man ein Leben lang in Washington damit verbracht hat, erhebliche Ausgaben zu tätigen, dann gab es genug Leute, denen man einmal gefällig gewesen war. Alles war ein einziges Geben und Nehmen — wenn Sie mir das geben, dürfen Sie das tun. Die meiste Zeit funktionierte das sehr gut. Im großen und ganzen war er auf das, was er in Washington geleistet hatte, stolz; er hatte viele gute Dinge getan.
Und dann gab es einige Dinge, auf die er nicht sehr stolz war. Eines ganz besonders, da war er einem Schurken gefällig gewesen, der ihm dafür die Unterlagen geliefert hatte, die er brauchte, um an die Diebe im Verteidigungsministerium heranzukommen. Das war die Gefälligkeit, für die er jetzt seine Gegenleistung fordern würde. Wenn der Mann sich weigerte, würde er bei der Washington Post anrufen. Der Mann würde sich nicht weigern.
Bromley nahm sein Jackett vom Bett, zog es an und ging zur Tür hinaus, in den schmutzigen Korridor und dann die Treppe in die Lobby. Der FBI-Agent, den man ihm zugewiesen hatte, stand etwas verlegen in der Ecke, eine blankgeputzte Schaufensterpuppe inmitten von menschlichem Abfall. Zumindest brauchte der Mann nicht im Korridor oben zu warten. Der einzige Ausgang des Hotels führte durch die Vordertür — ein Beweis für das Vertrauen, das man den Gästen entgegenbrachte.
Bromley ging auf den Telefonautomaten an der Wand zu, schob die Münze ein und wählte.
»Hallo?« Die Stimme klang nasal und unsympathisch.
»Hier spricht Paul Bromley.«
»Wer?«
»Vor drei Jahren. Detroit. Das Projekt.«
Es dauerte eine Weile, bis die Stimme antwortete: »Was wollen Sie?«
»Was Sie mir schulden. Sofern Sie nicht vorziehen, daß ich Freunde bei der Post anrufe. Die hätten Sie vor drei Jahren ja fast erwischt. Das könnten die jetzt immer noch. Ich habe auch einen Brief vorbereitet. Wenn ich nicht nach Hause zurückkomme, wird er zur Post gehen.«
Wieder herrschte am anderen Ende Schweigen. »Was wollen Sie?«
»Sie schicken mir einen Wagen. Ich sag Ihnen, wohin. Und
wenn Sie das tun, schicken Sie einen von Ihren Gorillas mit. Hier ist ein Bundesagent, der mich beobachtet. Ich möchte, daß er abgelenkt wird. Auf so etwas verstehen Sie sich doch.«
Bromley wartete auf dem Bürgersteig vor dem Hay-Adams. Wenn nötig, konnte er die ganze Nacht warten. Und wenn es hell wurde, konnte er sich in dem Kircheneingang auf der anderen Straßenseite verbergen. Über kurz oder lang würde Kastler herauskommen. Und dann würde Bromley ihn töten.
Die Pistole in seiner Tasche hatte ihn fünfhundert Dollar gekostet. Er bezweifelte, daß sie mehr als zwanzig wert war. Aber er hatte seinen Kontaktmann nur um Hilfe gebeten, nicht um eine milde Gabe.
Bromley sah immer wieder zu der Fensterreihe im fünften Stock des Hotels hinauf. Das waren Kastlers Zimmer. Teure Zimmer. Letzte Nacht hatte er eine zu der Zeit noch arglose Telefonistin nach der Nummer der Suite gefragt, ehe er den Schriftsteller angerufen hatte. Der verabscheuungswürdige Schreiberling lebte gut.
Er würde nicht lange leben.
Bromley hörte einen Wagen auf der Sechzehnten Straße nach Süden rasen. Jetzt bog er in die Hoteleinfahrt ein.
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