Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Ein rothaariger Mann stieg aus, sagte etwas zu dem Portier und ging in die Lobby.
Der ehemalige Buchprüfer erkannte den unauffälligen Wagen. Er hatte routinemäßig Dutzende solcher Anschaffungen bewilligt. Es war das FBI; gar kein Zweifel, sie kamen Kastler holen!
Bromley ging über die Straße zurück auf die Einfahrt zu und hielt sich im Schatten rechts vom Eingang, neben dem FBI-Wagen. Der Portier war den Fußweg hinuntergegangen, um nach einem Taxi zu pfeifen. Ein Mann und eine Frau folgten ihm bis zum Randstein, da die Einfahrt verstellt war.
Alles war perfekt. Kastler würde sterben!
Augenblicke darauf kam eine Frau mit dem rothaarigen Mann heraus. Kein Kastler zu sehen!
Er mußte da sein!
»Sind Sie sicher?« fragte die Frau besorgt.
»Er wird im Lauf des Abends den Zug nehmen«, sagte der Rothaarige. »Oder morgen früh. Keine Sorge.«
Ein Zug.
Bromley klappte den Mantelkragen hoch und machte sich auf den Weg zur Union Station.
29
Peter saß in einem Taxi, das zu Ramirez’ Wohnung fuhr, und hielt das mit Blut besudelte Papier mit der Schrift des toten Varak in der Hand. Wieder war er von den Namen beeindruckt. Beeindruckt und von Furcht erfüllt. Denn es handelte sich um außergewöhnliche Männer — jeder bekannt, geradezu berühmt und ungemein mächtig. Und einer von ihnen besaß Hoovers Archive.
Warum, um Himmels willen, warum? Peter ließ die Namen vor sich Revue passieren. Jeder beschwor ein Bild in ihm herauf.
Der hagere Frederick Wells mit den scharf geschnittenen Gesichtszügen — Codebezeichnung: Banner. Universitätspräsident mit Verfügungsgewalt über Millionen in Gestalt der mächtigen Roxton-Stiftung, eine der Persönlichkeiten, welche die Kennedy-Jahre wesentlich mitgeprägt hatten. Ein Mann, in dessen Prinzipien für Kompromisse kein Platz war, selbst dann nicht, wenn es den Groll Washingtons bedeutete.
Daniel Suthertand — Venice — vielleicht der am höchsten geachtete Neger des ganzen Landes. Geachtet nicht nur wegen seiner Leistungen, sondern auch um der Weisheit seiner richterlichen Entscheidungen willen. Peter hatte das tiefe Mitgefühl des Richters in seiner kurzen, halbstündigen Unterredung vor Monaten gespürt. Man konnte sie von seinen Augen ablesen.
Jacob Dreyfus — Christopher. Dreyfus’ Gesicht zeichnete sich vor Peters geistigem Auge weniger deutlich ab als das der anderen. Der Bankier mied die Öffentlichkeit, aber die Finanzwelt, und das bedeutete die Finanzpresse, konnte ihn nicht ignorieren. Sein Einfluß prägte häufig die monetäre Politik der Nation, und nur selten traf die Bundesbank Entscheidungen, ohne ihn zu konsultieren. Seine wohltätige Einstellung war der ganzen Welt bekannt, seine Großzügigkeit beispielhaft.
Carlos Montelán — Paris — hatte mehr als einem Präsidenten mit seinem Rat gedient. Er war ein Machtfaktor im State Department, ein wahrer Gigant der akademischen Welt, und seine Analysen der Weltpolitik waren ebenso scharfsinnig wie wagemutig. Montelán war naturalisierter Amerikaner, seine Familie stammte aus Spanien, intellektuelle Kastilier, die ebenso gegen eine zu kompromißbereite Kirche wie gegen Franco gekämpft hatten. Er war ein Erzfeind der Unterdrückung in jeder Form.
Einer dieser vier außergewöhnlichen Männer hatte Verrat an
den Glaubensgrundsätzen begangen, für die er sich in der Öffentlichkeit aussprach. War das die ›glänzende Versuchung‹, von der Varak gesprochen hatte? Um idealistischer Gründe willen Schreckliches zu tun? Unvorstellbar. Für geringere Männer vielleicht, aber nicht für diese. Es sei denn, einer der vier war nicht, was er zu sein schien. Und das war das Erschreckendste von allem. Daß man einen Menschen in solche Höhen erheben und dabei derart fundamentale Korruption verbergen konnte.
Chasŏng.
Varak wußte, daß er sterben würde, und hatte deshalb seine Worte sorgfältig gewählt. Zunächst hatte er die Option auf Wells und Montelán — Banner und Paris — beschränkt, dann aber eine Kehrtwendung vollführt und die Möglichkeiten so ausgedehnt, daß sie auch Sutherland und Dreyfus — Venice und Christopher — einschlossen. Dieser Meinungswandel bezog sich auf eine Sprache, die er nicht beherrschte, und die mehrfache Wiederholung des Namens Chasŏng. Aber warum? Was hatte Varak dazu veranlaßt, eine fremde Sprache und ein mehrfach wiederholtes Wort als so bedeutsam zu empfinden? Welche Gründe hatte er gehabt? Er hatte keine Zeit mehr gehabt, sie ihm zu
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