Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
Operationen innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten. Die im Jahre 1947 verfaßte Charta der CIA hatte das ausdrücklich verboten. Aaron Sheffield hatte sich deshalb bereit erklärt, das Drehbuch in diesem Punkt abzuändern. Aus Kastlers CIA würde ein Elitecorps unzufriedener ehemaliger Abwehrspezialisten werden, die außerhalb der Zuständigkeit und der Verantwortung der Regierung tätig waren.
Was soll’s, hatte Aaron Sheffield gesagt. Vom dramaturgischen Standpunkt her betrachtet, ist das ohnehin besser so. Auf die Weise haben wir zwei Arten von Schurken, und Washington ist glücklich.
Aber Kastler war wütend. Er wußte, wovon er redete. Er hatte mit wahrhaft verärgerten Leuten gesprochen, die für die Agency gearbeitet hatten und über das, was man von ihnen verlangt hatte, empört waren. Empört, weil es illegal war, und empört, weil es keine Alternativen gab. Ein Wahnsinniger Namens J. Edgar Hoover hatte alle Kanäle zwischen dem FBI und dem CIA abgebrochen. Die Männer des CIA würden sich selbst um die inländischen Informationen kümmern müssen, die man ihnen vorenthielt. Bei wem sollten sie sich denn beklagen? Bei Mitchell? Nixon?
Wenn Gegenschlag! eine Bedeutung hatte, dann lag diese in dem Mißbrauch der Agency. Das zu ändern, hieß, einen wichtigen Bestandteil des Buches zunichte machen. Peter hatte heftigen Widerstand geleistet, und je ärgerlicher er wurde, desto mehr, so schien es, trank er. Und je mehr er trank, desto herausfordernder war das Mädchen neben ihm geworden.
Sheffield hatte sie nach Hause gefahren. Peter und das Mädchen waren auf dem Rücksitz des Wagens gewesen, den Rock über die Hüfte geschoben, die Bluse aufgeknöpft, so daß ihre riesigen Brüste, über die immer wieder die Schatten huschten, ihn wild gemacht hatten. Auf betrunkene Art wild.
Und dann waren sie zusammen hineingegangen, während Sheffield
weggefahren war. Das Mädchen hatte zwei Flaschen Pernod gebracht, ein Geschenk von Aaron, und dann hatten ihre Spiele ernsthaft begonnen. Wilde Spiele, betrunkene, nackte Spiele.
Bis die stechenden Schmerzen in seinem Schädel ihn aus diesen Spielen gerissen, ihm ein paar Augenblicke der Klarheit geliefert hatten. Er war ans Telefon getaumelt, hatte wie verrückt in seinem Notizbuch nach Sheffields Nummer gesucht und wütend die Tasten gedrückt.
Er hatte Sheffield angebrüllt, ihm jede Beleidigung, die ihm in den Sinn gekommen war, an den Kopf geworfen, seine Einwände hinausgebrüllt — und seine Schuld — weil man ihn manipuliert hatte. In Gegenschlag! würde es keine Änderungen geben.
Und wie er jetzt auf dem Bett lag, neben sich das blonde Mädchen, erinnerte Kastler sich an Sheffields Worte am Telefon.
»Ruhig, Junge. Was macht es Ihnen schon aus? Sie haben kein Einspruchsrecht bei dem Drehbuch. Wir waren doch nur höflich. Jetzt steigen Sie schon runter von ihrem hohen Roß. Sie sind auch bloß ein lausiger, kleiner Lohnschmierer wie wir anderen auch.«
Das blonde Mädchen, das neben Peter auf dem Bett lag, war Sheffields Frau.
Kastler drehte sich zu ihr herum. Die leeren Augen waren jetzt etwas heller, aber immer noch tot. Ihr Mund öffnete sich, und eine erfahrene Zunge strich sinnlich über ihre Lippen, sandte eine unmißverständliche Botschaft aus.
Die den Applaus gewöhnte Schauspielerin war bereit zum nächsten Auftritt.
Verdammt, war doch egal! Er griff nach ihr.
3
Der Mann, dessen Gesicht zu den bekanntesten im ganzen Land zählte, saß allein am Tisch zehn im Mayflower Restaurant an der Connecticut Avenue. Der Tisch stand an einem Fenster, und der Mann blickte immer wieder abwesend, aber nicht ohne eine gewisse Feindseligkeit durch die Scheibe auf die Passanten draußen.
Er war exakt um elf Uhr fünfunddreißig eingetroffen; er würde jetzt zu Mittag essen und um zwölf Uhr vierzig wieder gehen. Das war seit mehr als zwanzig Jahren eine feste Gewohnheit für ihn. Die Stunde und fünf Minuten waren die feste Gewohnheit, nicht
das Mayflower. Das Mayflower war eine Änderung aus der letzten Zeit, seit Harvey’s, ein paar Straßen weiter, geschlossen hatte.
Das Gesicht mit dem ausgeprägten Kinn, dem lang gezogenen Mund und den Augen, die auf eine Überfunktion der Schilddrüse deuteten, hatte sich aufgelöst. Wo früher einmal kräftige Kinnladen Energie verraten hatten, waren jetzt nur noch herunterhängende Backen; faltiges, bräunliches Fleisch wucherte über die Schlitze, die einmal Augen gewesen waren; die borstigen Haarsträhnen
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