Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
verrieten das ausgeprägte Selbstbewußtsein, das ein Teil seiner alles verneinenden Einstellung war.
Sein üblicher Begleiter war nicht zu sehen. Seine geschwächte Gesundheit und zwei Schlaganfälle hielten ihn fern. Das weiche, verzärtelte Gesicht — das um Männlichkeit buhlte — war seit Jahrzehnten eine Blume für den stacheligen Kaktus gewesen. Der Mann, der im Begriff stand, zu Mittag zu essen, blickte über den Tisch, als erwartete er, seinen attraktiven Gegenpol zu sehen. Daß er niemanden sah, schien ein periodisches Zittern seiner Finger und ein immer wiederkehrendes Zucken seiner Mundwinkel auszulösen. Er schien ganz von seiner Einsamkeit umfangen; seine Augen huschten herum, lauerten auf echte und eingebildete Unbilden, die ihn umgaben.
Einer seiner Lieblingskellner war heute wegen Erkrankung nicht zum Dienst erschienen; das war für ihn ein persönlicher Affront. Er sorgte dafür, daß alle es erfuhren.
Fruchtsalat, mit etwas Hüttenkäse in der Mitte, war für Tisch zehn bestimmt. Man richtete den Teller auf dem offenen Regal aus rostfreiem Stahl in der Küche her und brachte es zur Theke. Der blonde zweite Hilfskoch, der nur aushilfsweise beschäftigt wurde, musterte die einzelnen Tabletts und prüfte ihr Aussehen mit geübtem Blick. Jetzt hatte er sich den Fruchtsalat vorgenommen; er hielt ein Brett mit Notizen in der Hand und musterte die Tabletts, die vor ihm standen.
Unter dem Brett mit der Klammer hielt er waagrecht eine dünne, silberne Zange, deren Backen die weiche, weiße Kapsel umfaßten. Der blonde Mann lächelte einem gehetzten Kellner zu, der durch die Tür des Speisesaals hereinkam; im gleichen Augenblick stieß er die silberne Zange in den Berg Hüttenkäse unter seinem Brett, zog sie wieder zurück und ging weiter.
Sekunden später sah er sich die Bestellung für Tisch zehn noch einmal an, schüttelte den Kopf und schob den Hüttenkäse mit einer Gabel zurecht.
Die Kapsel enthielt eine schwache Dosis von Lyserginsäure Diäthylamid. Die Kapsel würde sich auflösen und das Narkotikum etwa sieben bis acht Stunden nach der Aufnahme freigeben.
Die geringfügige Belastung und die Desorientierung, die darauf folgen würden, würden genügen. Zum Zeitpunkt des Todes würde es keine Spuren im Blutstrom geben.
Die Frau in mittleren Jahren saß in einem Zimmer ohne Fenster. Sie lauschte der Stimme, die aus den Wandlautsprechern kam, und wiederholte die Worte dann ins Mikrofon eines Tonbandgerätes. Ihr Ziel war es, die inzwischen bereits vertraute Stimme aus den Lautsprechern, so gut dies möglich war, zu imitieren. Jeder Laut, jede Nuance, die affektierte, kurze Pause, die etwas zischenden S-Lauten folgte.
Die Stimme aus den Lautsprechern war die von Helen Gandy, seit Jahren die persönliche Sekretärin von John Edgar Hoover.
In einer Ecke des kleinen Studios standen zwei Koffer. Beide waren voll gepackt. In vier Stunden würde sich die Frau mit den beiden Koffern auf einer Transatlantikmaschine auf dem Kurs nach Zürich befinden. Dies war die erste Etappe einer Reise, die sie am Ende nach Süden, auf die Balearen, und dort zu einem Haus am Meer in Mallorca führen würde. Aber zuerst war da Zürich, wo die Staatsbank auf ihre Unterschrift hin eine vorher vereinbarte Summe auf die Barclays Bank einzahlen würde, die den Betrag wiederum in zwei Raten auf ein Konto ihrer Zweigniederlassung in Palma transferieren würde. Die erste Zahlung würde sofort erfolgen, die zweite in achtzehn Monaten.
Varak hatte sie eingestellt. Er war fest davon überzeugt, daß es für jede Aufgabe die genau richtige Person gab, die diese Aufgabe erfüllen konnte. Die computerisierten Datenbänke im Nationalen Sicherheitsrat waren unter strengster Geheimhaltung programmiert worden, von Varak allein, bis sie die Person lieferten, die er suchte.
Sie war Witwe, eine ehemalige Radioschauspielerin. Sie und ihr Mann waren 1954 in eine der Säuberungsaktionen McCarthys geraten und hatten sich davon nie erholen können. Dieser Wahnsinn wurde damals vom Federal Bureau of Investigation sogar noch ausdrücklich gefördert. Ihr Mann, den viele für ein bedeutendes Talent hielten, arbeitete sieben Jahre nicht. Am Ende jener Zeit brach ihm vor Kummer das Herz. Er war in einer Station der U-Bahn, auf dem Weg zu einem Bürojob in einer Bank in der Innenstadt, gestorben. Die Frau war beruflich jetzt seit achtzehn
Jahren erledigt; der Schmerz und das Gefühl, zurückgestoßen zu werden, und die Einsamkeit
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