Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
nie. Ich sage
das ohne falschen Stolz. Mir hat Gott meine Talente verliehen, und es waren außergewöhnliche Talente. Doch was ist mit gewöhnlichen Menschen? Gewöhnlichen Frauen, gewöhnlichen Kindern, die heranwachsen und weniger als gewöhnlich werden, weil sie bei der Geburt schon das Kainsmal ihrer Farbe tragen? Kein Namenswechsel kann dieses Mal ändern; kein Diplom macht die Haut heller. Ich bin kein Revolutionär in dem Sinn, wie man dieses Wort heute versteht, Mr. Kastler. Ich weiß sehr wohl, daß, wollte ich diesen Kurs einschlagen, das zu einem Holocaust führen würde, wie ihn selbst die Juden nicht kannten. Die Zahlen und die Institutionen sprechen gegen uns. Ich benutze nur die Werkzeuge der Gesellschaft, in der wir leben. Furcht. Die gewöhnlichste Waffe, die der Mensch kennt. Sie kennt keine Vorurteile, sie respektiert keine Rassengrenzen. Das ist es, was jene Archive repräsentieren — nichts mehr und nichts weniger. Wir können soviel mit ihnen tun, so viele Gesetze beeinflussen und Durchführungsbestimmungen stärken, die jeden Tag verletzt werden. Das können jene Archive bewirken. Ich suche nicht die Gewalt, denn sie würde ohne Zweifel zu unserer Vernichtung führen. Damit will ich nichts zu tun haben. Ich suche nur das, was rechtmäßig uns gehört, was man uns vorenthalten hat. Und die Vorsehung hat mir die Waffe gegeben. Meine Absicht ist es, den gewöhnlichen schwarzen Mann aus seiner Sorge und seinem Leid herauszuführen.«
»Aber Sie verwenden doch Gewalt. Sie töten.«
»Nur diejenigen, die unser Leben nehmen wollen!« Sutherlands Stimme donnerte; sie erfüllte das Wageninnere. »So wie man unser Leben genommen hat! Nur diejenigen, die uns hindern!«
Sutherlands Ausbruch veranlaßte Peter zur Reaktion und seine eigene Wut platzte aus ihm heraus. »Auge um Auge? Wollen Sie das? Ist es das, was Ihnen nach einem Leben mit den Gesetzen übriggeblieben ist? Um Himmels willen, doch nicht Sie! Warum?«
Sutherland drehte sich auf dem Sitz herum, und seine Augen funkelten wütend. »Ich werde es Ihnen sagen! Das war nicht das Urteil eines Lebens. Das war das Ergebnis einer kurzen halben Stunde, vor fünf Jahren. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, die im Justizministerium nicht sonderlich populär war. Sie verhinderte weiteren Mißbrauch der Mirandavorschrift und bestätigte das Urteil über einen bekannten Polizeisuperintendenten.«
»Ich kann mich erinnern«, sagte Peter. Die Entscheidung hatte die Bezeichnung Sutherland-Entscheidung bekommen und war all denen, die nach Law und Order riefen, verhaßt. Hätte ein anderer
Richter als Sutherland sie getroffen, wäre man vor dem Obersten Gerichtshof in Revision gegangen.
»Ich erhielt einen Anruf von J. Edgar Hoover und wurde aufgefordert, in sein Büro zu kommen. Mehr aus Neugierde als aus einem anderen Grund, neigte ich mich seiner Arroganz und nahm die Einladung an. Und während jener Besprechung habe ich das Unglaubliche gehört. Auf dem Schreibtisch des höchsten Gesetzbeamten im Land lagen die Akten eines jeden wichtigen schwarzen Bürgerrechtsführers: King, Abernathy, Wilkins, Rowan, Farmer. Es waren ganze Bände voll Schmutz — Gerüchte, unbestätigter Klatsch, Aufzeichnungen von abgehörten Telefongesprächen, aus dem Zusammenhang gerissene Worte, die aufrührerisch wirkten — moralisch, sexuell und im juristischen und philosophischen Sinn! Ich war wütend, angewidert! Daß es in jenem Büro geschehen konnte! Erpressung! Aber Hoover hatte das schon viele Male hinter sich gebracht. Er wartete ab, bis meine Wut sich verzehrt hatte, und als ich schließlich am Ende war, erklärte er mit einem bösartigen Grinsen, daß jene Akten, wenn ich mich weiter als Störenfried betätigen sollte, benutzt werden würden. Man würde Menschen und ihre Familien vernichten! Würde die schwarze Bewegung zerbrechen! Und ganz am Ende sagte er zu mir ›Wir wollen doch nicht wieder ein Chasŏng, oder, Richter Sutherland?‹«
»Chasŏng«, sagte Peter und wiederholte den Namen mit leiser Stimme. »Damals haben Sie das Wort zum erstenmal gehört.«
»Ich brauchte fast zwei Jahre, um herauszubekommen, was in Chasŏng geschehen war. Als ich das tat, traf ich meine Entscheidung. Die Kinder hatten die ganze Zeit recht gehabt. In ihrer Einfachheit hatten sie gesehen, was ich nicht sah. Als Volk waren wir ersetzbar. Aber dann sah ich, was die Jungen nicht sahen. Die Antwort war nicht zielloser Protest und ebenso ziellose Gewalt. Nein, die Antwort lag
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