Das katholische Abenteuer - eine Provokation
rede.«
Vor ein paar Jahren hat Borda den frommen Zirkus Cochabambas um ein Wunder bereichert, das aus seinem Laden stammt: den blutenden Jesus. Er hatte diese Batterie von Gipsbüsten bei einem peruanischen Lieferanten bestellt, nichts Außergewöhnliches: Purpurkragen, Dornenkrone, Augen himmelwärts. Geplant war ein ruhiger, solider Abverkauf des Menschensohns – und dann betrat die Stewardess Silvia Arévalo seinen Laden.
»Eigentlich war sie auf der Suche nach einer Maria.« Sie fand nicht, was sie wollte. Da nahm sie Jesus mit der Dornenkrone.
»Und am 3. April 1995 hat er zum ersten Mal geblutet.« Borda lächelt. »Seither kann ich gar nicht genug davon absetzen.« Rund 80 pro Woche sind es mittlerweile.
Auch die Stewardess konnte vergrößern. Vor drei Jahren hat sie ihrem Jesus eine Kapelle gebaut, direkt neben der Familienvilla in einem der besseren Wohnviertel Cochabambas.
In einer silberbeschlagenen Glasvitrine ruht die Büste nun auf rotem Samt. Das Antlitz ist blutüberströmt, ein einziges dichtes Kanalsystem unterhalb der Dornenkrone, mit geradezu absurden Wülsten und Verwerfungen. Rund sechzig Gläubige haben sich an diesem Nachmittag versammelt. »Im Frühjahr hat er zum letzten Mal blutige Tränen geweint«, flüstert die alte Señora Vargas. Sie schließt die Augen in inniger Frömmigkeit und reißt sie gleich wieder auf, um eine mögliche Sensation nicht zu verpassen. Wie sieht ein Wunder aus? Und wie eine Gaunerei?
Draußen, neben der Verkaufsvitrine mit Videos und gruseligen Blutpostkarten, steht weich und sanft Silvia, die Stewardess. Sie erzählt von ihrer Erweckung, und immer wieder werden ihre Silben verschluckt von anschwellenden Ave-Marias aus der Kapelle.
Sie war krank, sie lag auf der Intensivstation, und plötzlich stand Maria neben ihr und sagte: »Folge mir.« Sie habe sich selbst von den Transfusionsschläuchen befreit, sei aufgestanden und gegangen und habe kurz darauf Bordas Laden betreten. »Es ist richtig, ich wollte Maria«, sagt sie, »doch dann sah ich ihn, und es war wie Liebe auf den ersten Blick.« Ihre dunklen Augen schimmern feucht.
Die Andacht ist vorüber, der befreundete italienische Padre tritt hinzu. »Hat nicht Jesus selbst im Lukas-Evangelium davon gesprochen, dass die Steine weinen werden?« Nun ja, streng genommen ist es Gips. Aber noch während nach theologischen Einwänden und den vielen anderen des gesunden Menschenverstands
gekramt wird, öffnet sich ein eisernes Tor, und heraus tritt Silvias Mutter mit einer Art Toilettenbeutel. Er enthält Wattebäusche, die sie an verzückte Frauen verteilt. Sie hat die Bäusche Jesus übers Antlitz gezogen. Sie heilen.
Ob man den Jesus in Augenschein nehmen könne? »Sicher«, haucht Silvia und führt hinter den Altar. Sie schließt einen stählernen Zylinder auf, nimmt die Büste behutsam in den Arm. Sie ruht an ihrem Busen wie ein Säugling. Silvia lächelt zärtlich, stolz. Die flüchtige Nahaufnahme bringt keinen Aufschluss, jede der Furchen könnte Kanülen enthalten. Mit einem einzigen Satz beseitigt Silvia jeden Zweifel. »Hat er denn etwa keinen Grund zu weinen?« Den hat er, mehr als einen – man kann sie gar nicht zählen!
Den Gedanken daran, an der großen Urkupiña-Prozession teilzunehmen, weist sie empört von sich: »Das ist doch Aberglaube«, sagt sie – und schiebt ihre Jesus-Büste behutsam zurück in die Altar-Vitrine.
Schon um Mitternacht machen sich die Pilger von der Kathedrale San Ildefonso aus singend und betend auf nach Quillacollo, hin zu jenem Hügel, auf dem die Jungfrau einst dem Hirtenmädchen erschien. In den Vormittagsstunden folgen die Buskolonnen aus der Stadt. Und dann sind es Hunderttausende, die sich über die staubigen Pisten durch ein weißes Betonportal hinauf zum Calvario wälzen.
Die bunten Mützen und Bowlerhüte der Indios sind in der Überzahl, denn Maria, die Mutter, findet einen tiefen Echoraum in den Campesino-Seelen: Sie ist ein einfaches Mädchen aus dem Volk, bescheiden, barmherzig und mit einem Fuß fest in den alten Zeiten. Und sie, ausgerechnet, wurde von Gott erwählt. Maria ist siegreich durch Verständnis. Sie ist die große Fürsprecherin, und in jedem Gebet an sie steckt eine unschuldige List, der Vorschlag zu einem kleinen Tauschhandel.
Im Urkupiña-Kult ist der Handel geradezu Gründungsidee: Schließlich hat die Jungfrau dem Hirtenmädchen Steine in Schafe verwandelt. Und so streben sie den Berg hinan, um
Steine zu sammeln und diese zu
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