Das katholische Abenteuer - eine Provokation
werdenden Gelder nicht in den falschen Taschen verschwinden.
Bolivien, das Herz Lateinamerikas, sein Armenhaus: In der Provinz Arque sind 55 Prozent der Kinder unterernährt, Dürre treibt die Indios in die Städte, die Lebenserwartung ist die niedrigste auf dem Kontinent. Dazu belegt Bolivien einen Spitzenplatz in der Länderliste der Korruption – Nummer 5 von 91. Quiroga hat sich bereits vor zehn Jahren als unideologischer Finanzminister empfohlen. Sein Privatisierungsprogramm stammt aus dem Schulbuch der Weltökonomen. Allerdings hat es, anders als erwartet, bisher nur einen rasanten Verarmungsschub gebracht. Tatsächlich: Neben den Prosperitätskurven der Harvard-Strategen nehmen sich die gemurmelten Indiogebete aus wie exakte Wissenschaft.
Zudem hat Quiroga mit einer ganz und gar unkalkulierbaren Hinterlassenschaft zu kämpfen. Es ist das Programm der nationalen Würde, mit dem Vorgänger Banzer den Amerikanern ein kokafreies Land versprochen hatte – ausgerechnet Banzer, unter dessen Clan-Herrschaft Bolivien zum weltweit führenden Koka-Exporteur wurde. Doch nun machte er Ernst:
In den letzten drei Jahren verschwanden Anbauflächen von rund 40 000 Hektar.
Allerdings wurden jährlich geschätzte 500 Millionen Dollar dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Cochabambas Bauboom, davon zeugen die Apartmenthaus-Ruinen, ist eine Angelegenheit von gestern. Der Mittelstand verarmt, die Restaurants stehen leer, die Luna-Park-Karussells am See setzen Staub an. Tariferhöhungen für Wasser führten zu Revolten. Vor allem aber: Die den Cocaleros versprochenen Umstellungshilfen blieben weitgehend aus. Koka hat sie ernährt, Pfeffer tut es nicht.
Im Süden besetzen Campesinos nach dem Vorbild der brasilianischen Landlosen-Bewegung MST Ländereien. In La Paz protestieren die um ihre Renten betrogenen Bergarbeiter mit christlicher Opfersymbolik – sie binden sich an Kreuze. Gerade kündigten Cochabambas Wasser-Aktivisten einen Generalstreik mit Totalblockaden an. Das Land brennt.
Cochabambas Cocalero-Führer Feliciano Mamani ist davon überzeugt, dass die Urkupiña-Madonna auf dem Kalvarienberg seinen Kampf und den seiner Genossen versteht: »Sie ist aus dem Volk.« Er sieht nicht aus wie einer, der mit dem begehrtesten Rohstoff der Welt handelt. Seine Hände sind breit und rissig, die Sakko-Ärmel geflickt, das Gesicht ist gegerbt von harter Feldarbeit. Obwohl er für seine Lieferungen nicht mal ein halbes Prozent des Verbraucherpreises in New York kassiert, bringt ihm der Sack Coca doch ein paar Cent mehr als ein Büschel Bananen – die paar Cent entscheiden, ob seine Familie hungert oder nicht.
So ist Mamani bereit zu streiken, zu blockieren und zu kämpfen für das Recht, der Mafia die Konten zu füllen. Wer behauptet, dass es der Marien-Glaube ist, der absurd ist in Cochabamba?
Absurdität ist Alltag in der Andenstadt, ganz besonders für all die guten Menschen, die hierherkommen, um zu helfen. Sie fahren große Jeeps und sitzen abends in der Churrasquería »La Estancia«. Leute wie Rudi und Willem aus Holland, die für eine
NGO Bodenbakterien analysieren. Der Deutsche am Nebentisch schüttelt den Kopf. »Für Böden sind doch die Schweizer zuständig.« Die Claims sind abgesteckt. Holländer und Italiener machen in Molke, die Deutschen »in Wasser«. Cochabamba hat nach Phuket in Thailand die höchste Dichte an Hilfsprojekten. Alle helfen. Und der Hunger wächst.
Den Sieg über das Elend scheint die technische Vernunft nicht erringen zu können – was liegt da näher, als sich wieder traditionelleren Helfern zuzuwenden? Das krisensicherste Geschäft ist allemal das mit der Ewigkeit, weshalb Luis Borda, selbst nicht mehr allzu weit von ihr entfernt, kaum zur Ruhe kommt. Er handelt mit Heiligenfiguren, Rosenkränzen und Kruzifixen. Der üppig blutende Stefan geht immer, auch der gütige Franziskus ist saisonunabhängig. Doch in den Tagen der Urkupiña-Prozessionen ist natürlich die Madonna gefragt, mit all dem frommen Barbie-Zubehör an goldenen Krönchen und Zeptern.
Früher hat Borda Hüte gemacht. Ja, er hat mit seinen Schachteln vor Evita Perón gekniet, aber auch vor unzähligen bolivianischen Potentaten, die sich in den rund 200 Revolutionen und Putschen des Landes an die Spitze geschossen hatten. Irgendwann gab er die Hüte auf. »Hüte kommen außer Mode, Wunder nie.«
»Die Regierung hat nie etwas für die Campesinos getan«, sagt er. »Ich stamme aus einer Bauernfamilie, ich weiß, wovon ich
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