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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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seine in 250 voluminösen Büchern gesammelten Reden, chassidischen Texte und Talmud-Auslegungen.
    Seine Gegner sehen in ihm einen Scharlatan; seine Jünger den Messias. Eines ist er sicher: ein Gelehrter von magnetischer Ausstrahlung, einer, der Macht über Menschen hat. Politiker und Popstars pilgern zu seinem Backsteinhaus. Ein Wort des Rabbi kann in Israel Parlamentskrisen auslösen. Aus Italien und Australien, der Schweiz und Kanada sind sie gekommen, hierher nach Brooklyn, um den Geburtstag ihres Rabbi zu feiern.
    Crown Heights, Eastern Parkway 770, das ist ein jüdisches Schtetl in New York am Ende des 20. Jahrhunderts. Die Männer tragen altmodische Anzüge und steife schwarze Hüte, und die Kinder spielen mit den Zizes, den Schaufäden, die ihnen von den Hüften hängen. In den Straßen ertönt eine Sinfonie aus chassidischen Musikfetzen und jiddischen Rufen, herrscht Gedränge bei den Buchhändlern und koscheren Krämern, die den Talmud verkaufen und Bilder des Rabbi und Mazzen, denn es ist die Woche vor Passover.
    Das Passover-Fest, das den Auszug aus ägyptischer Gefangenschaft feiert und den Aufbruch ins Gelobte Land! Damals führte Mose die Israeliten; und heute ist es der Rabbi, der das Werk vollenden wird, das wissen sie.
    Für den jungen Shmuel, der die Tür des Backsteinhauses nicht aus den Augen lässt, ist ganz klar: »Ich werde den Messias erleben. Bald.« Bald ist jetzt, und jetzt heißt: jederzeit. Vor einigen Tagen wurde versehentlich die Sirene ausgelöst, die sonst zum Sabbat ruft. »Das ist der Moment«, durchfuhr es Shmuel. Er lächelt, als er davon erzählt.
    Judaismus bedeutet in erster Linie: warten auf den Verheißenen. Doch hier, bei den Lubawitschern, ist das Warten nicht ergeben, ist nicht demütiges Beten, ist nicht ein vages Hoffen auf Erlösung. Hier, in Brooklyn, ist das Warten ein Feuer. Braucht die Welt etwa keinen Messias?

    Doch vor einigen Wochen ist das Undenkbare geschehen: Vor einigen Wochen hatte ein Schlaganfall den Rabbi gelähmt. Seither dringen nur spärliche Informationen in die Gemeinde. Der Rabbi mache Fortschritte, er könne sich bereits wieder verständlich machen. Aber was ist, wenn der Messias stirbt?
    Für Rabbi Haschel Greenberg eine unverständliche Frage. »Er hat unzählige Menschen geheilt. Warum sollte der Messias nicht auch sich selber heilen können?« Rein »wissenschaftlich« würde sein Tod keinen Sinn machen. »Seine Krankheit ist rationalisierbar«, sagt Greenberg, »aber warum sollte ich für Gott Entschuldigungen suchen.«
    Bei ihm, wie bei allen Lubawitschern, sind glühendes Begehren und logischer Geist, sophistische Spitzfindigkeit und gläubiger Taumel verschwistert: Alle in der Gemeinde glauben an den Rabbi als den Messias. Und doch haben sie sich medizinische Fachbücher besorgt und alles über Schlaganfälle gelesen, was sie finden konnten. Und am Bürgersteig parkt ein blauweißer Krankenwagen der »Hatzoloh Ambulanz«. Nein, für den Rabbi ist dieser Wagen nicht. Aber es ist gut, dass er da ist.

    Rabbi Greenberg und Israel, ein junger Talmud-Schüler aus der Schweiz, hasten hinüber in die Tora-Schule, die gleichzeitig die Synagoge ist, dorthin, wo nun die Mincha, das Nachmittagsgebet, gesprochen wird. Ein Raunen und ein Singen sind in diesem dunkel getäfelten Riesensaal mit den Kristalllüstern, Bänken und Emporen. An diesem Tage beten sie den 91. Psalm, denn für den Rabbi beginnt das 91. Lebensjahr. »Orech jamim asbiehu we-arehu bischuati« – Ich will ihn sättigen mit langem Leben und will ihm zeigen mein Heil.
    Hunderte von Männern wippen rhythmisch über ihren Bänken und blättern hastig die Seiten zerfledderter Bücher um, die linken, die schwachen Arme entblößt und mit Gebetsriemen
umwickelt, und sie rufen ihre Gebete nicht ehrfürchtig, sondern fordernd – Herr, schick uns den Messias!
    Und nun übertragen die schnarrenden Lautsprecher in der Synagoge direkt aus Israel, wo sich Zehntausende versammelt haben, um den Geburtstag des Rabbi zu feiern und die bevorstehende Ankunft des Messias, und drüben, im Gelobten Land, feiern sie schon jetzt, denn Israel ist sieben Stunden voraus.
    Im brausenden Auf- und Abschwellen der Gebete und Gesänge, dem Schreien der Kinder, dem Scheppern der Lautsprecher sitzt Chaim Nissenbaum in einer Bank gleich neben dem Schrein, der die Tora-Rollen enthält. Ein Schriftgelehrter, der gerade aus Paris gekommen ist, übernächtigt und beseligt. Keine Frage für ihn, dass der alte Mann im

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