Das katholische Abenteuer - eine Provokation
schlug mit dem Kopf auf und war gehirntot, aber sein Herz schlug noch wochenlang weiter.« Das war dann, so gespenstisch darf man es durchaus sehen, die letzte Mahnung des Alten an die Jungs: Ein Martins gibt nicht auf, ein Comeback ist immer möglich, Gottes Wege sind unerforschlich – man muss nur offen für ihn sein und hinhören!
Doch offenbar gibt es noch eine andere Martins-Regel: Man nimmt jede Herausforderung an, schon aus sportlichen Gründen. Auf dem Weg nach Hause spricht Carmen von den Regengüssen, die am Vortag die Stadt lahmgelegt haben. »Das nennst du Regen?«, sagt João. »Ich zeig dir, was Regen ist.« Er fummelt eine CD aus dem Handschuhfach, und dann erklingen Vivaldis »Vier Jahreszeiten«, die er vor ein paar Jahren aufgenommen hat, eine Version für zwei Pianos. Der Sommer, erster Satz – »hier kommt’s«, brüllt João Carlos, und tatsächlich ergießt sich ein enormer Wolkenbruch aus Tönen.
João Carlos ist zu jedem Kampf bereit, gegen wen auch immer. Mein Regen gegen deinen, großer Gott.
Die Aufnahme hat ihn in Schwung gebracht. Zu Hause setzt er sich noch einmal an den Flügel, und die Linke hängt in der Luft wie eine Tatze, die Beute machen will, und dann haut João Carlos Martins den Ravel in die Tasten und singt das Orchester dazu, laut und falsch. Das ganze klassische Repertoire
für die Linke wird er mit Stadler aufnehmen, das ist erst der Anfang.
João Carlos Martins ist zurück, und vielleicht ist es ja so, dass sein größtes Kunstwerk sein Leben selbst ist. Sicher schwebt über diesem letzten Comeback die Frage, ob der Markt sich für ihn nur noch als Zirkusnummer interessiert: Martins, der einarmige Pianist, das Verletzungswunder.
»Der Markt interessiert mich nicht«, sagt er entspannt wie einer, der sich seiner Sache sehr sicher ist: Die Leute werden schon mitkriegen, dass er, der Comeback-Künstler, mit einer Hand mehr zu erzählen hat als die Übrigen mit zwei. Er hat gelernt. Mittlerweile kämpft er klüger, doch sein Herz schlägt wie das eines Jungen.
Und am Ende wird Hiob, der schwergeprüfte, vom Allmächtigen zehnfach beschenkt.
Der Dollar als Mysterienspiel
Wie ein ganzes Volk in der größten Marienprozession der Anden gemeinsam für wundersame Geldvermehrung betet
Das Wunder von Cochabamba ereignet sich kurz nach dem Schlusssegen. Kardinal Julio Terrazas erfleht den Beistand der heiligen Mutter von Urkupiña für ein »geeintes Bolivien« und »Arbeit für alle«. Der in diesem Jahr 2001 bestallte junge Präsident der Republik senkt artig seinen tadellosen Scheitel, die Militärs stehen stramm, und das Volk schaut zum Himmel. Und dann regnet es Dollar.
Als grünes Konfetti rieseln die Scheine von den kolonialen Balkonen und Loggien auf den Platz des 15. August. Dollar regnen über Schönheitsköniginnen mit ihren Schärpen und über Bettlerinnen mit ihren gebuckelten Kinderbündeln, über die Quechua vom Hochplateau und die Guaraní aus den Tropen, sie halten ihre Amulette in die Höhe im Geldgestöber, und die Straßenhändler vergessen ihre glacierten Schweinsköpfe und bekreuzigen sich.
Nur bedrucktes Papier? Aber Geld war doch nie mehr als das, nie etwas anderes, ein kapitalistisches Transsubstantiations-Wunder, und irgendwann wird auch dieses Spielgeld zur Sache selbst werden und alle Wünsche realisieren. Doch das ist es gar nicht – das fröhliche Wunder besteht darin, dass in Bolivien ausnahmsweise einmal Dollar demokratisch über alle regnen.
Es sind weniger Pilger als in den Vorjahren, denn die Zeiten sind hart. Doch noch immer haben rund eine Million Gläubige ins Anden-Hochtal von Cochabamba gefunden, nicht nur aus Bolivien, sondern aus allen Teilen des Kontinents, um ein Fest zu feiern, dessen Ursprung sich im Dämmerlicht frommer Legenden verliert.
War es Maria, die dem Indiomädchen auf dem Hügel erschien, oder die Quechua-Urmutter Pachamama? Hat sie dem Mädchen verlorene Schafe wiedergebracht, oder hat sie das Dorf vor einer schlimmen Seuche bewahrt? Sicher ist nur, dass sie Wunder vollbringt. »Und Wunder«, sagt der Kardinal, »braucht dieses Land.«
Eines wäre bereits, wenn die reichen Länder erkennen würden, dass sie nicht allein sind auf der Welt. Dass es Schlimmeres gibt, als ohne Evian-Wasser zu sein, nämlich: ohne Wasser. Dass sich in den Anden eine Katastrophe anbahnt. Und dass ein Erlass der Auslandsschulden eine der Voraussetzungen dafür wäre, diese abzuwenden – in der Hoffnung, dass die frei
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