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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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Nebenhaus der Messias ist. Mit stechender Logik weist er die Genealogie des Rabbi nach, die in direkter Linie zu David führt – Schneerson ist der Messias, er erfüllt die Bedingung.
    Auch seine Prophezeiungen haben sich erfüllt. Hat er nicht den Zusammenbruch der atheistischen Welt richtig vorhergesehen? Ist die Berliner Mauer nicht gefallen? Hat er nicht das zerstreute Volk Israels gesammelt? Und hat er es nicht jüngst, vor dem Golfkrieg, beruhigt mit der Zusicherung, es werde ihm kein Leid geschehen?
    Ganz sicher wird er auch noch die letzte Forderung erfüllen und sein Messiastum beweisen: Er wird den Tempel bauen in Jerusalem, wie es geschrieben steht. Den Zeitpunkt allerdings, den bestimmt allein er. Aber läuft ihm die Zeit nicht davon?
    Die Nacht ist hereingebrochen, die die letzte sein könnte, die Nacht der Offenbarung, und hinter den Butzenscheiben schimmert gelbes Licht. Hinter den Butzenscheiben liegt ein gebrechlicher alter Mann, linksseitig gelähmt, dessen Mund, tief vergraben in einen mächtigen grauen Bart, nur unter größten Mühen kaum verständliche Wörter formt.
    Wie kann er der Messias sein? In einem koscheren Imbiss um die Ecke sitzen Israel und sein Freund Mendel über weißem Hühnerfleisch, und sie reden ungeduldig alle Zweifel nieder.
»Wir werden den Messias sehen, mit eigenen Augen. Er wird sich uns offenbaren.«
    Aber hat es in der jüdischen Geschichte, die eine Geschichte ungeduldigen und öfter heißlaufenden Wartens ist, nicht schon Fanatiker gegeben, die den theologischen Sprung über die Grenze vollzogen, die Spannung auflösten, sich als Messias inthronisierten? Da war im 17. Jahrhundert Sabbatai Zwi aus Smyrna, ein Ekstatiker und Mystiker, der den vollen Gottesnamen (»Schem ha-meforasch«) aussprach und sich von seinen Jüngern als Messias verehren ließ, selbst dann noch, als er später, vom türkischen Sultan gezwungen, zum Islam übergetreten war. Sein Weggefährte Abraham Jachini veranstaltete kultische sexuelle Orgien, denn im messianischen Zeitalter gibt es keine Sünde mehr, keine Gesetze, die gebrochen werden könnten, kein Gut, kein Böse.
    Israel und Mendel lächeln überlegen: Das allein genüge, Sabbatai Zwi als Betrüger zu entlarven, denn auch der Messias lebe nach dem Gesetz. »Im Übrigen hat der Rabbi von sich selber nie gesagt, dass er der Messias sei.« Aber sie glauben es? »Natürlich.«
    Zu ihnen hat sich Cliff aus Chicago gesellt, im modischen grauen Zweireiher, nur die Kippa auf seinem Hinterkopf weist ihn als gläubigen Juden aus. Cliff ist Psychotherapeut. Ein Fachmann für die Seele. Und als Fachmann, so sagt er, hat er gemerkt, wie schmal der psychoanalytische Begriff der Seele sei. Er ist zu den Lubawitschern gestoßen wie einer, der heimgekehrt ist.
    Ob er nicht glaube, dass der junge Israel, dessen Heilserwartung in allerhöchste Höhen geschraubt ist, bei einer Enttäuschung suizidal abstürzen könnte, ein Ikarus mit versengten Flügeln? Was, wenn der Rabbi stirbt, ohne sich als Messias offenbart zu haben?
    Cliff nickt geistesabwesend, so, als höre nur der Fachmann in ihm zu, der »sicher« murmelt, und dann übernimmt der Gläubige in ihm: »Aber keiner von uns glaubt, dass dem Rabbi
irgendetwas zustoßen könnte.« Und er strahlt in stählerner Gewissheit wie die anderen.
    Drüben in der Synagoge kann keine Stecknadel mehr zu Boden fallen. Ein schwankendes Meer aus schwarzen Anzügen und schwarzen Hüten in dieser Nacht, und sie tanzen und feiern den Rabbi und die Ankunft des Messias. Von oben, durch schmale Schlitze in getönten Scheiben, schauen die Frauen auf ihre Männer hinab. Unten wird Hering verteilt und süßer Kuchen und Wodka, und Galina oben hält sich an einem Buch fest, das den Titel Notwendige Verluste trägt. Ein Buch über Trennungen, über das Altern, über den Tod. Unten singen sie »Der Herr, der König, der Messias soll leben immerdar«, lauter, ekstatischer, denn die Mitternacht rückt näher, und Galina kaut auf ihrer Unterlippe, und ihr schmaler Körper ist wie ein gespannter Bogen. Sie ist klug, sie hat viel gelesen, vor allem über den Tod, aber den Rabbi damit zu verknüpfen fällt ihr nicht ein. »Der Chassidismus ist fröhlich«, sagt sie, »warum sollte ich über den unmöglichen Tod des Messias nachdenken.«
    Die Nachtwache dauert bis in die frühen Morgenstunden, im Wechsel von Klagen, Singen und Beten. Immer wieder wird der Grund genannt für das Ausbleiben des Messias. »Wir beten nicht genug.« Dann

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