Das katholische Abenteuer - eine Provokation
verwandeln in Häuser, TV-Geräte oder Autos. Bei der nächsten Prozession werden sie zurückgebracht, steinerne Darlehen, deren Zinsen mit Dankopfern beglichen werden.
In den letzten Jahren gibt es einen erkennbar neuen Ton. »Dólares, Dólares«, singen die Straßenhändler. Auf ihren Brettern türmen sich die grünen Fetische in Pyramiden und wuchern in frivolen Büscheln und Bouquets – Geld als schierer Überfluss. Doch sie verkaufen nicht nur Banknoten, sondern auch deren weitere Abstraktionen – Visa und American Express.
Mit dem Symbolgeld werden kleine Symbolgrundstücke auf dem Berg erworben, die tatsächlich durch symbolische Besitztitel im Grundstücksamt von Cochabamba gedeckt sind. Auch sie sollen sich wundersam in wirkliche wandeln. So wird die kapitalistische Spekulation im religiösen Raum nachgespielt und auf eine fantastische Spitze getrieben. Ein heiliger Handel, der erfolgversprechender erscheint als die undurchschaubaren Gesetze der Weltwirtschaft. In 2500 Meter Höhe, unter Trommeltamtam und Dixiemärschen und ekstatischen Schreien, wird der Kapitalismus zu dem, was er schon immer war: ein moderner Mysterienkult.
Indio-Schamanen wedeln mit Geldbündeln und besprengen sie mit heiligem Wasser und Schnaps, sie brennen Rauchopfer ab, und für Momente wirken sie wie Börsenanalysten des Neuen Markts, die Reichtum aus nichts als einer vagen Hoffnung heraus versprechen. Oben auf dem Hügel sitzt der Schamane Lucio, der die Zukunft noch nach alten Rezepten liest. Er wirft Koka-Blätter. Die persönliche Zukunft kostet fünf Bolivianos (85 Cent), die des Landes ist teurer. »Das Doppelte.«
Da ein Journalist auf seiner Suche nach Wahrheit und Präzision keine Ausgabe scheuen sollte, wandern zehn Bolivianos in
die Wolltasche des Schamanen. Er sortiert ein paar intakte Blätter aus und wirft. Er schaut, er murmelt, er schweigt. Nun?
Der Schamane richtet sich auf. Die Zukunft Boliviens also. Suchend schaut er über die Steine-Klopfer auf dem Berghang, die Tanzenden und Trinkenden zwischen den Schweinegrills und die Betenden mit ihren Rosenkränzen, und unter ihm liegt schimmernd der See von Cochabamba vor den braunen Wänden der Anden.
»Das ist schwierig zu sagen«, seufzt er schließlich.
Was soll das? Dafür ist man nicht den ganzen Berg hinaufgestiegen und hat den doppelten Tarif bezahlt.
Der Schamane legt nach. »Der Weg, der vor uns liegt«, sagt er feierlich, »ist ein schmaler, gewundener, gefährlicher Pass.«
Auch nicht besser, das weiß jeder.
»Na gut«, sagt der Schamane. »Dann ist der Weg eben kein schmaler, gefährlicher Pass – was willst du hören?«
ENDSPIELE
Was, wenn der Messias stirbt?
Eine lange Nacht des Hoffens bei den orthodoxen Lubawitschern in Brooklyn
Seit Wochen schon verbirgt er sich dort hinter den Butzenscheiben des kleinen Backsteinhauses in Brooklyn. Nur manchmal öffnet sich die braune Eichentür. Dann hasten graubärtige Rabbiner heraus, Emissäre, Vertraute. Die Frühlingssonne wirft harte Schatten unter ihre Hutkrempen. Und die Jünger, die draußen warten, versuchen vergebens, in ihren Gesichtern zu lesen, eine Antwort, einen Glanz vielleicht, das Anzeichen eines Wunders.
Hier in Brooklyn warten sie nicht auf das Wunder, sie rechnen darauf. Schriftgläubig klagen sie es ein, gesetzestreu. Steht nicht geschrieben, dass der Messias sich offenbare nach 45 Tagen der Verborgenheit? Der 45. Tag ist heute.
Dort drinnen liegt der Mann, den sie als Messias verehren. Menachem Schneerson, siebter Rebbe der belorussischen Lubawitscher Dynastie und ganz sicher der letzte, denn er wird sich als der Messias zu erkennen geben. Vielleicht jetzt, vielleicht in fünf Minuten, vielleicht heute Nacht. Heute Nacht wird er neunzig Jahre alt. Heute, am 11. des Nissan, im Jahre 5752 seit Erschaffung der Welt, könnte das Versprechen des Allmächtigen eingelöst werden.
An diesem Tag, in dieser Nacht im April 1992 wird der Rabbi in vielen Ländern der Erde gefeiert. Wie kein anderer hat er eine weltweite orthodoxe Sammlungsbewegung ins Werk gesetzt. Er vereidigt seine Anhänger auf die eisernen Gesetze der Tora. Zurück zu den Fundamenten, zurück in die Strenggläubigkeit der osteuropäischen Diaspora des 18. Jahrhunderts. Das moderne Judentum sieht er der Gefahr eines »spirituellen Holocaust« ausgesetzt.
Doch er nutzt die Mittel, die die säkulare Welt bereithält, Satellitenleitungen, Ton- und Videokassetten, um sein gewaltiges Werk zu verbreiten –
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