Das katholische Abenteuer - eine Provokation
steigt das Brausen an.
Der Messias hat sich auch diese Nacht nicht gezeigt. Doch am nächsten Morgen besteigen die Lubawitscher 91 Campingwagen mit Lautsprechern, eine Flotte von Autos, die sie Gebetspanzer nennen, und sie rollen gegen Manhattan, und über Lautsprecher verkünden sie die frohe Botschaft in Form eines Rap-Gesangs: »Der Rabbi der Lubawitscher ist Messias. Überzeugt euch davon. Der Messias kommt, seid bereit.«
Im 44. Wagen sitzen Chaim und Yossi, Jim aus Hongkong und Chesky, der vor fünf Monaten aus Australien nach Brooklyn gekommen war, um den Talmud zu studieren. Seine Brüder sind Geschäftsleute, und er hatte kurz überlegt, ob er einmal Rechtsanwalt werden solle. »Aber diese Welt hat genug
Anwälte«, sagt er lächelnd, »und zu wenige Menschen, die sich auf die Ankunft des Messias vorbereiten.«
Die Jungen an Bord sind witzige, schlagfertige Burschen, keine Sonderlinge, sondern Teenager, die Gemeindemitglieder aufs Korn nehmen oder über den Nahen Osten fachsimpeln und über Fußball. Ihr Tag beginnt morgens um sechs mit chassidischen Unterweisungen, und er ist abends um zehn noch nicht zu Ende. In ihnen allen brennt die Leidenschaft für die Mystik, die Tiefen der talmudischen Texte. Und für sie alle ist der Messias nah, zum Greifen nah. Sie glühen. Sie sind dicht vor dem Ziel.
Als die Autokarawane auf der Manhattan-Brücke ins Stocken gerät, klettern sie auf das Dach des Wagens, hinauf in die Sonne. Und dort oben stehen sie im Licht, wie schwarze Vögel in ihren langen Mänteln, und sie breiten die Arme aus. Im Hintergrund funkeln die Spiegeltürme des World Trade Center, und unter ihnen glitzert der East River, und fast sieht es aus, als könnten sie fliegen. In diesem Moment in der blauen Luft glauben sie ganz sicher daran.
PS: Rabbi Schneerson verstarb zwei Jahre später, ohne sich als Messias offenbart zu haben.
Götzendämmerung
Einige Gedanken zu unserem Anbetungsbedürfnis und dem Geschäft mit Ersatzgöttern
Zur gelegentlichen Dämonisierung der Massenmedien ist zu sagen, dass sie selbstverständlich berechtigt ist: Nichts hat das 20. Jahrhundert so geprägt wie diese Geistermacht. Mit ihrer Hilfe ist jeder auf dem Planeten jeden Moment ansprechbar geworden. Eine einzige Botschaft kann sich zeitgleich in Millionen Köpfe senken, Millionen Seelen durchwühlen, Millionen Träume durchstrahlen oder vergiften. Die Massenmedien schließen Kontinente und Völker zusammen zu einem erdumspannenden Publikum. Sie vor allem bereiten das Podium und präsentieren: den Star, den Führer, das Idol, den Halbgott – die Erfindung des 20. Jahrhunderts.
Die Massenmedien haben mitgeholfen, die sozialen Pyramiden einzureißen, allein dadurch, dass sie Ruhm ein für alle Mal demokratisiert haben – Kronen und Tiaras trägt man als letzten Schrei auf Szene-Partys in New York, und ein Kellner kann König für eine Nacht werden, weil ihn ein Entertainer in seine Talkshow einlädt.
Gleichzeitig haben die Medien ein neues Ausbeutungsverhältnis geschaffen: »Zugunsten der reichen Beachtung einer kleinen Zahl von Personen«, so der Wiener Philosoph Franck, »wird die kostbare Zeit von Millionen von Menschen kolonialisiert. « Öffentliche Aufmerksamkeit ist zur neuen Währung geworden, die tatsächlich mehr und mehr den Wert des Einzelnen bemisst.
Was die Groschenpresse, das Radio, schließlich Fernsehen und Internet bewerkstelligt haben, ist eine immense Durchlaufgeschwindigkeit an Berühmtheiten. Jeder kann über Nacht in den öffentlichen Kosmos katapultiert werden und strahlen und
für Sekunden das Interesse des globalen Dorfes erregen, bevor es sich, zappelig und ungeduldig, der nächsten Sternschnuppe zuwendet.
Die Medien sind neben ihrer Informationsaufgabe zu einer Fabrikationsstätte von Götzen geworden. Und die werden gebraucht in säkularen Zeiten. Je verwechselbarer der Einzelne wird, desto mehr sehnt er sich nach dem Unverwechselbaren.
Die Tröstung durch Religion in früheren Zeiten bestand ja darin, dass sie dem Einzelnen das Gefühl der Einzigartigkeit vor Gott gab. Nun sind die Religionen aus dem Alltag verschwunden, doch sie haben Andachtssehnsucht und gestaltlos gewordene Frömmigkeiten zurückgelassen, die nach Befriedigung suchen. Die Kirchen sind leer, aber es gibt Altäre für Elvis Presley und Schreine für Lady Di noch Jahre nach ihrem Tod. Dann erst recht.
Das 20. Jahrhundert geht als dasjenige in die Geschichte ein, das sich Ersatzgötter am
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