Das katholische Abenteuer - eine Provokation
sagen würde, »heilig-nüchtern«.
Was mich angeht, ich war ebenfalls nach Indien gefahren und hatte gekifft und kiffte weiter, aber weder die innere Erleuchtung noch der innere Frieden stellten sich noch ein. (Mehr habe ich darüber in meinem letzten Buch Als wir jung und schön waren geschrieben.) Ich träumte von einer neuen Weltordnung, in der es keinen Besitz gab und keinen Neid und keinen Hass und in der natürlich jeder mit jedem schlief und Spaß hatte. Die maoistische WG war längst eingetauscht gegen eine anarchistisch-hedonistische, in der es viele Joints gab und desertierte US-Soldaten und ausgerissene Halbwüchsige, ein Tollhaus, in dem ich allmählich den Überblick verlor und mich nach Berlin absetzte, um ernsthaft zu studieren.
In die Kirche ging ich nun gar nicht mehr. Ich hatte mich nicht nur von meinen Eltern und meinen Brüdern abgewendet, sondern auch von Gott. Eine frühe Liebe brach mir das Herz, und irgendwann hatte ich keinen Lebensmut mehr und wollte nur noch ausruhen, und zwar ewig. Nach zwei Tagen und zwei Nächten stöberte mich eine Freundin auf und brachte mich in eine Klinik. Dort blieb ich und wurde körperlich wiederhergestellt.
Für mein seelisches Gleichgewicht sorgte ein anderer. Es waren die Tage vor Ostern. Mein Vater kam mich besuchen. Er war voller Mitgefühl. Auf langen Spaziergängen redete er mit mir, ernst und sanft und liebevoll. Wir beteten. Und in diesen Tagen der Passion spürte ich, dass es tatsächlich auch für mich die Hoffnung auf eine Auferstehung geben konnte.
Von nun an konzentrierte ich mich auf das, was mir am meisten Befriedigung verschaffte: zu schreiben. Ich war hungrig auf Menschen, auf Schicksale, auf ferne Länder, auf Extremsituationen. Ein Journalist kann viele Leben in einem einzigen haben. Wie sonst kommt man an die Chance, mit einer japanischen Bhuto-Gruppe auf einem Friedhof in Kyoto die Geister der Ahnen zu beschwören, oder mit einem Unberührbaren in seinem Slum in Bombay der Göttin Shiva zu opfern? Wie sonst kann man mit dem Politbüro-Mitglied Hans-Peter Minetti die Auflösung des ZK erleben und damit die marxistische Heilslehre in Scherben zerfallen sehen, mit dem russischen Dichter Jewtuschenko über die Toten von Babi Jar reden oder mit dem amerikanischen Schriftsteller Harold Brodkey über Engel?
Lauter Jenseitsbezüge. Stets habe ich mich für Randfiguren interessiert, vielleicht weil ich mich selber in ihnen fand. Ob ich mit Allen Ginsberg meditierte oder mit William Burroughs und den Beat-Poeten auf die Zielscheibe an einem Scheunentor ballerte, ob ich mit jüdischen Lubawitschern eine ganze Nacht lang auf den Messias wartete oder mich von einem einhändigen brasilianischen Pianisten in die Geheimnisse von Bach-Sonaten einweihen ließ und seine erneute Hinwendung ins Leben durch die Musik und durch Gott, stets waren es die dramatischen Umbauten auf der inneren Bühne von Menschen, die mich besonders anzogen. Weil in all diesen Biografien Umschwünge und Hoffnungen waren.
Ich habe in den knapp dreißig Jahren meiner journalistischen Karriere alle Höhen und Tiefen durchlebt. Ich habe Auszeichnungen erhalten und bin beschimpft worden, habe mich angelegt, mit Kollegen, mit Vorgesetzten, aber mir ist immer klar gewesen, wofür ich stehe. Und mir wird immer klarer, dass ein großer Teil meiner Überzeugungen vom Glauben geformt wurde, in und von der Kirche.
Woran ich glaube? Zum Beispiel daran, dass es einen Gott gibt, der alles geschaffen hat. Manchmal bezweifle ich, dass es ein lieber und gerechter Gott ist, aber wer tut das nicht.
Ich glaube, dass Gott durch Jesus Christus in unsere Menschengeschichte eingetreten ist und sich gezeigt hat. Ohne dieses Ereignis, von dem die Menschheit bis heute redet, hätte die Geschichte einen anderen Lauf genommen.
Ich glaube, dass ich eine unsterbliche Seele habe.
Ich glaube an das verdammte Recht, meine Meinung sagen zu dürfen.
Das Recht? Noch mal anders: ich glaube an die Pflicht, meine Meinung sagen zu müssen.
Ich glaube, dass die ungerechte Verteilung des Reichtums ein Skandal ist, der bekämpft werden muss.
Ich glaube, dass wir den Schwachen helfen und unsere Politik danach ausrichten sollten.
Ich glaube, dass wir mit der Natur sorgsam umgehen sollten.
Ich glaube, dass die katholische Kirche trotz ihrer zahlreichen Verschattungen und Fehler jedes Recht hat, stolz auf ihre Geschichte zu sein und auf all das, was sie an Gutem bewirkt.
Ich glaube, dass mir meine Sünden in der
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