Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Übung noch machen, die sind der Erinnerungsspeicher. Deshalb reicht es nicht, theoretisch Katholik zu sein. Man muss sonntags in die Kirche und sich hinknien. Dieses »aber ich knie« ist genial.
WALSER: Sonst hätte es sich nicht gereimt. (Gelächter)
MATUSSEK: Verantwortungsloser Ästhet.
WALSER: Ich muss mich nach den Wörtern richten.
MATUSSEK: Alle Macht der Sprache.
WALSER: Nein, Herr Matussek, da gibt es eine Differenz, die ich sehr gerne spüre. Sie wissen, wie sehr ich Ihre religiöse Begabung achte, aber bei mir geht es doch anders. Es gibt eine Anzahl von Wörtern – Unsterblichkeit, Ewigkeit – für etwas, das es nicht gibt. Und das kann man nicht durch sonntägliche Routine herbeibeten. Vielleicht überhaupt nicht abringen. Vielleicht überhaupt nicht durch die Kirche. Vielleicht in einer Schubert-Messe. Sie haben vorhin die Unterscheidung zwischen Gott und Christus eingeführt. Ich habe schon eine Christus-Zugewandtheit erlebt, die viel überzeugender war als diese Adressierung an einen nicht fassbaren Gott, der, wie Hegel sagt, ein sinnloser Laut ist. Nehmen Sie Dostojewski, der an seine Frau schrieb, wenn mir jemand beweisen würde, dass Christus außerhalb der Wahrheit ist, dann würde ich mich immer für Christus und gegen die Wahrheit entscheiden. Erst das ist Glauben, ist wirkliche Religiosität. Mein persönlicher Sprachfechtmeister ist natürlich Kierkegaard, der sagte, die Größe des Glaubens wird kenntlich an der Ungewissheit.
EICHEL: Wie sieht denn Ihre Glaubenspraxis aus, außerhalb der Gottesdienste, wie erleben Sie den Alltag, gibt es für Sie Begriffe wie Vergebung?
MATUSSEK: Das geht gar nicht ohne, sonst wäre ich schon krepiert, ich bin extrem empfindlich, und das beste Gebet ist das »Vater unser« …
EICHEL: . . . und vergib uns unsere Schuld . . .
MATUSSEK: . . . wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
EICHEL: Machen Sie das jetzt aus christlicher Demut, oder weil es therapeutisch geboten ist?
MATUSSEK: Religiosität hat immer auch praktische Seiten. So wie das Rosenkranzbeten nicht nur fromm ist, sondern auch
eine großartige Meditation, wie das Ein- und Ausatmen bei den Buddhisten.
EICHEL: Herr Walser, in einem Ihrer Gedichte heißt es: »Wem nur die Wahrheit einfällt, der schweige. Und schämen sollte er sich auch.« Ist Wahrhaftigkeit und Schreiben eigentlich ein Widerspruch?
WALSER: Ich bewundere den Tübinger Theologen Eberhard Jüngel. Der schreibt wie Musik. Der schreibt über Gott, der die Wahrheit ist, und über das Böse, das die Lüge ist. Das steht ohne Übergang nebeneinander. Das ist für einen Schriftsteller natürlich tödlich. Der Kahn in meinem Buch sagt ja, Lüge ist kein moralisches, sondern ein linguistisches Problem. MATUSSEK: Das glaube ich nicht. Wir müssen von der Wahrheitsvermutung ausgehen, sonst könnten wir uns gar nicht verständigen. Wenn wir nicht glauben können, dass der andere die Wahrheit sagt, ist Kommunikation sinnlos.
WALSER: Ich habe niemals im Leben volle zehn Minuten lang die Wahrheit gesagt. Sie haben vorhin die Beichte erwähnt und dass die Bilanzen da immer ein wenig geschönt wurden. Das kenne ich auch.
EICHEL: Sie haben in Regensburg studiert, wie Ratzinger. Sind Sie sich mal begegnet?
WALSER: Ich könnte jetzt sagen wie Grass, natürlich, in dem und dem Lager, aber nein, bin ich nicht. Aber ich habe sein Jesus-Buch sehr gerne gelesen, diese Christus-Fixiertheit interessiert mich, weil ich die Christusfigur nicht erhöht genug sehen kann.
Wenn alles falsch war, wie es sich in diesen Tagen ausnahm, wo wäre dann das Richtige? Was soll jetzt nur werden? Wie wird die Welt in fünf Jahren aussehen? Walser hielt an diesem Abend nichts von apokalyptischem Tremolo. Er machte eine abfällige Handbewegung. »Das ischt doch alles Hysterie. «
Da man mit einem achtzigjährigen Dichterfürsten nicht ernsthaft über die Zukunft reden kann, kann man vielleicht mit Ironie über den Markt reden. Okay, dann also: Sind das dann jetzt schon Einstiegskurse?
Erregte Debatte mit Moderatorin Christine Eichel und einigen Herren von der Bank, die im Auditorium Platz genommen haben. Walser erinnert an die goldene Regel: »Allenfalls 20 Prozent Aktien.« Die anderen nicken. Das heißt aber nicht, dass er nicht zockt. Zocken gehört zum Menschsein. Bei ihm ist es jetzt Lotto. Wo sonst soll Aufregung herkommen, zweimal die Woche. Er lächelt wild. Früher ist er in Casinos gefahren, um was zu riskieren.
An diesem Abend riskiert er
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