Das katholische Abenteuer - eine Provokation
immer noch nicht eintraf, verlor ich das Interesse.
EICHEL: Herr Walser, Sie haben mal von der Kultur der Gewissenserforschung gesprochen.
WALSER: Meine Kinder sind beichten gegangen, ich früher auch, relativ häufig. Da hat man das Gewissen erforscht. Da hat sich eine Gewissensmuskulatur herausgebildet. Meine wichtigste Erfahrung war, dass man nichts bereuen kann. Und Reue gehörte dazu, wenn man eine Absolution haben wollte. MATUSSEK: Also all das Beichten für die Katz. (Gelächter im Saal) Bei uns wurde der Beichtzettel gemeinsam mit dem Vater angefertigt.
EICHEL: Das ist ja ein doppeltes Patriarchat, erst der Vater und danach Gottvater. In Ihrem Roman Angstblüte , Herr Walser, ist die Rede von einer inneren Instanz, die der Held Kahn, ein Anlageberater, in sich spürt, und der Unfähigkeit, ihr zu genügen. WALSER: Ja, und wem gegenüber soll man sich verantworten? Und was heißt Gott? Im Griechischen gibt es kein Wort für Gott. Hegel sagt, Gott ist ein sinnloser Laut, wenn er nicht mit etwas anderem umschrieben wird. Unsere größte religiöse
Begabung ist Hölderlin. Bei ihm kommt »Gott« 320 Mal vor. Und er sagt: Ist eines sich unbekannt, schickt es sich ins Fremde. Man muss eine andere Ausdrucksweise von Gott haben, um von ihm reden zu können.
MATUSSEK: Was die Konkretion angeht, da unterscheidet sich ja das Christentum vom Judentum. Juden dürfen den Namen des Höchsten nicht nennen. Für Christen hat Gott in Jesus konkret Gestalt angenommen.
EICHEL: Ist Fleisch geworden, ganz buchstäblich. MATUSSEK: Und mit diesem Jesus hat man im Gebet tatsächlich ein Gegenüber, einen, an den man sich richten kann. Aber generell kann man wohl sagen, dass das Heilige aus unserem Alltagshorizont verschwunden ist.
EICHEL: Herr Walser, wo können wir müde Aufgeklärten jenseits der Debatten heute noch religiöse Erfahrung machen? WALSER: Ein junger Geistlicher hat mir mal ein kleines Büchlein gewidmet, in dem stand vorne drin: Wer schreibt, glaubt. Toll! Und er hat recht! Der ganze Ausdrucksbereich ist ein religiöser Bereich. Da muss man nicht in die Sixtinische Kapelle, da genügt jede Dorfkirche. Das Weihnachtsevangelium. Es ist euch ein Heiland geboren, fürchtet euch nicht! Das kriegst du mit als Sechs-, Sieben-, Achtjähriger, und es bleibt ein ganzes Leben, und ich würde sagen: Das ist große Literatur. Und natürlich muss man von Anfang an dabei gewesen sein, sonst kriegt man das Vibrato wahrscheinlich nicht mit.
EICHEL: Wir sehen gerade die Entzauberung einer Ersatzreligion, wenn man das Finanzsystem so bezeichnen will. Und es wird sehr moralisch darüber debattiert.
MATUSSEK: Man will ja als Katholik nicht besserwisserisch klingen, aber hat nicht der Papst gesagt, wer auf Geld baut, hat auf Sand gebaut? Steht das nicht so auch in den Evangelien? Und der Vorgänger-Papst, der Mystiker Johannes Paul II., hat ständig gepredigt: Hört auf mit diesem Tanz ums Goldne Kalb, kniet euch mal hin und betet den Rosenkranz. Er hat den Zusammenbruch des kommunistischen Heilssystems begleitet,
und er hat früh gemerkt, dass es das kapitalistische Heilssystem auch nicht bringt. Wobei ich heute über den Kursverlust meiner BASF-Aktie auch persönlich enttäuscht bin. (Gelächter) WALSER: Ich hab gestern in der Washington Post gelesen, dass die Wallstreet-Banker jetzt in die Kirchen und Synagogen der Umgebung strömen.
MATUSSEK: Weil auf der Wallstreet kein Segen mehr ruht. EICHEL: Ihr Held, der Kahn, empfindet eine ungeheure Befriedigung am Geldverdienen, aber er gibt es nicht zu, er zensiert sich.
WALSER: Das ist unsere Spezialität, dass das Geldverdienen einen falschen Ruf hat. Im Übrigen: Er ist Anlageberater. Er verdient nicht Geld, er vermehrt es.
MATUSSEK: Auch was Biblisches: die wundersame Geldvermehrung.
WALSER: Da ist das Matthäus-Evangelium, von dem Diener, der die Talente vermehrt, und dem anderen, der seine vergräbt. Und der Herr lobt denjenigen, der sie vermehrt. MATUSSEK: Das war die Geburt des Thatcherismus im Jordanland. (Gelächter)
EICHEL: Sie haben diesen Film für die ARD gemacht, Herr Matussek, und Walsers Gedicht rezitiert: »Ich bin an den Sonntag gebunden . . . «
WALSER: … wie an eine Melodie …
MATUSSEK: . . . ich habe keine andere gefunden . . .
EICHEL: … ich glaube nichts …
MATUSSEK: … aber ich knie.
MATUSSEK: Wunderbar.
WALSER: Sind wir uns einig, gell.
EICHEL: Das neue Terzett ist geboren.
MATUSSEK: Ich find das deshalb wunderbar, weil die Muskeln die
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