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Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Das katholische Abenteuer - eine Provokation

Titel: Das katholische Abenteuer - eine Provokation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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herüberdrang. Eine Schattenfigur. Hochhuths Stück »Der Stellvertreter« hatte den Papst Anfang der 60er Jahre der zynischen Duldung des Holocaust bezichtigt. Was für ein Debattenstoff, was für ein Skandal! Das konnte nicht sein, fand mein Vater. Das konnte sehr wohl sein, fanden seine Brüder.
    Mein Vater behielt recht, wie mittlerweile belegt ist. Der Papst rettete Juden, und er litt unter der Schweigedisziplin, die er sich selbst auferlegt hatte, um die Nazibestie nicht zu reizen, wie es ein Hirtenbrief der holländischen Bischöfe getan hatte, der zu entsetzlichen Vergeltungsmaßnahmen führte. Pacelli war Diplomat. Er wollte nicht durch eine Ansprache, die ihn selber durchaus seelisch entlastet hätte, weitere Juden gefährden. Das wäre ihm zu egoistisch erschienen. Er half im Stillen, und er half effektiv.
    Mit Papst Johannes XXIII. betrat eine volkstümliche, ewig lächelnde, gemütliche Hirtenfigur meinen jugendlichen Lebenskreis.
Von seinem bauernschlauen Witz wurde mir immer wieder erzählt, von seiner Herzenswärme. Unendlich viele Anekdoten waren damit gespickt, ein Knuddelpapst, der erste »fizzy pope«. Doch er war derjenige, der das alles umwälzende Zweite Vatikanische Konzil auf den Weg brachte.
    Dann kam Paul VI., den ich als »Pillenpaul« durch die Kabarettprogramme der »Münchner Lach- und Schießgesellschaft« kennenlernte, eine Art intellektueller Gaglieferant mit strenger Miene. Was für ein Missverständnis. Wie leicht hätte Papst Paul VI. Hildebrandt und Co. links überholt, er, der Arbeiterpapst, der Baldachin und Pfauenwedel und Nobelgarde abschaffte, aber sich gegen die Empfängnisverhütung aussprach – und das kurz nach der Marktreife der Anti-Baby-Pille und mitten hinein in die sexuelle Aufklärungswelle. Wie fantastisch quer das zu der Zeit war!
    Und dann der lächelnde kleine Papst der hundert Tage, eine Figur wie aus dem Paten, früh gestorben unter Gerüchten, dass hier die Mafia die Hände im Spiel gehabt hätte, ein Zwischenpapst, die Vorhut des Löwen, der kommen sollte: der lang lebende, lang amtierende Athleten- und Dichterpapst, der Skifahrer, der Mediendarling Wojtyla, Papst Johannes Paul II.
    Mittlerweile war ich erwachsen und politisch bewusst genug, um die Revolution zu begreifen, die er verkörperte, wenn er mit Mitra und Hirtenstab die Kontinente besuchte und die Rollbahnen küsste und genau wusste, welche Macht Bilder besaßen. Und so machte er den stalinistischen Zaren klar, dass der Papst sehr wohl über Divisionen verfügte, die sie in die Knie zwingen würden: nämlich das Evangelium, die Hoffnung, die Botschaft der Nächstenliebe – und über eine Milliarde Katholiken. Und einige davon waren streikbereite Polen.
    Dieser Papst war der große Einzelne, traditionsbewusst, mystisch, Rosenkranzbeter, aber gleichzeitig ein medienstarker Kämpfer. Durch ihn bin ich, nach Jahren der Entfremdung, wieder an die Kirche herangeführt worden. Nicht der brillante Hans Küng mit seinem Buch Christ sein, weder Geißler oder
Drewermann oder andere mehr oder weniger eitle Kirchenkritiker haben das bewirkt, sondern dieser starke und starrsinnig unfehlbare, lachende und zornige Mystiker-Papst. Ich habe den Großteil meiner journalistischen Karriere mit diesem Papst verlebt. Sein Sterben war gleichzeitig eine der großen katholischen Inspirationen für die säkulare Welt, sein Martyrium ein Erneuerungsmoment.
    Rund 1300 Selig- und Heiligsprechungen hat er vorgenommen, um der hedonistischen und glaubensfernen Welt neue Rollenmodelle zu geben. Er hat 129 Länder bereist. Ja, er hat die marxistisch bewegten Befreiungstheologen kaltgestellt, weil er die Seelsorge dann doch für dringlicher hielt als sozialistische Erfolge. Die Kirche erlebte eine Blüte an Zuwendung. Katholisch sein war plötzlich auch für Zaungäste spannend, war inspirierend, war ein Fest des Glaubens, dem sich auch kirchenferne Medien kaum entziehen konnten. Als auf das ergreifende Sterbespektakel von Papst Johannes Paul II. das imposante Freudenspektakel der Papstwahl von Kardinal Ratzinger folgte (»Wir sind Papst«), schien die Euphorie grenzenlos zu sein.
    Benedikt schien das konsolidieren zu wollen, was sein Vorgänger an Ausdehnung der Kirche geschaffen hatte. Er sicherte die Bestände. Mir scheint es manchmal so, als sei nur der 83-jährige Papst in der Lage, auf der Höhe der Zeit mit den Menschen zu reden, mit Gläubigen genauso wie mit Ungläubigen. Warum? Weil er schmucklos und einfach seine

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