Das katholische Abenteuer - eine Provokation
größeren »Gemeinschaften von Gemeinden« geht. Die werden dann von Pastoral-Teams geleitet, der einzelne Seelsorger spielt eine eher untergeordnete Rolle. Der Vatikan sieht das mit Sorge. Berechtigterweise, denn Mussinghoffs »Kooperative Pastoral« macht Seelsorge zum Gruppenevent und Kirchen zum Meeting Point und Messen zum Singsangservice, und alle diese Maßnahmen nehmen sich aus wie die ersten Schritte zu einer priesterlosen Gemeinde und einer sakramentfreien Kirche.
Aber natürlich kann er auch unbequeme Wahrheiten aussprechen: »Als Bischof ist mir durchaus bewusst: Individuelle Identitätsentwicklung geschieht in einem Spannungsfeld von persönlicher Anpassungsfähigkeit und einer mal eher affirmativen, mal mehr konfrontativen Abstimmung mit vorgefundenen Identitätsmustern.« Äh ja. Genau.
Gott sei Dank gibt es den Papst. Genauer: Gott sei Dank gibt es diesen Papst, der sanft spricht, aber unerschütterlich glaubensfest ist und geradeaus denken kann und der Kirche mit seinen Enzykliken Erhellendes und Bindendes für die Fundamente des Glaubens mit auf den Weg gibt. Und mit seinen Hirtenbriefen aktuelle Probleme aufgreift und bespricht in einer Sprache, die auch in der hintersten Provinz noch verständlich ist.
Doch ausgerechnet bei uns deutschen Katholiken spricht er in eine theologische Indifferenz und rabiate Papstfeindlichkeit hinein, die schaudern lässt. Der für mich erschreckendste Satz seines neuen Gesprächsbuches Licht der Welt ist dieser: »Dass
es im katholischen Deutschland eine beträchtliche Schicht gibt, die sozusagen darauf wartet, auf den Papst einschlagen zu können, ist eine Tatsache und gehört zu der Gestalt des Katholizismus in unserer Zeit.«
Wie hat sich das Verhältnis zu ihm nur verändert!
Meine Päpste
In meinem Leben hatte ich Glück mit den Päpsten, soweit ich zurückdenken kann. Und ich denke durchaus mit Ehrfurcht zurück. Der Nachfolger Petri war für mich immer verbunden mit der Strahlkraft und heiligen Entrücktheit, die seinem Amt innewohnte. Wenn wir früher nach Rom fuhren, fuhren wir in die ewige Stadt, mit all den geheimnisvollen Schwingungen, die mit diesem Attribut verbunden waren. Und das Zentrum war der Petersplatz im Gebetsbrausen der katholischen Weltgemeinde, verbunden mit der Hoffnung, einen Blick auf die Gestalt in der weißen Soutane im Fenster zu erhaschen.
Natürlich gab es in dem imponierenden Stafettenlauf der Päpste durch die Jahrhunderte Ausfälle, Unwürdige. Aber Jesus hat sich nun mal entschlossen, seine Kirche auf Menschen zu bauen, und wir haben Grund, dankbar zu sein für diese Entscheidung. Ohne seine Stellvertreter, ohne die Kirche, wäre der Glaubenskorpus längst ausgefranst, verblasst, zerronnen in Tausende von privaten Verrichtungen und Kulten und Kleinkirchen. Gott sei Dank gibt es jene Hirten an der Spitze, die wachen, denn in all dem heiligen oder eitlen Eifern um Richtungen, das der Glauben auslösen kann, ist es wichtig, einen vorne zu haben, der über Zulässigkeiten entscheidet, über Häresie oder Apostasie.
Die Protestanten haben das nicht. Deshalb gibt es eine schier unübersichtliche Anzahl protestantischer Kirchen. Lauter Tante-Emma-Läden des Glaubens. »Autodidakten des Glaubens« hat Philosoph Peter Sloterdijk die Protestanten einmal genannt. In der katholischen Kirche dagegen gibt es verbindliche Lehrmeinungen,
und der Papst hat die, so würde Mussinghoff wohl sagen, »Richtlinienkompetenz«. (Was nicht heißen muss, dass er, Mussinghoff, damit einverstanden wäre.) Doch der Primat ist entscheidend. Wer den Primat nicht anerkennt, wie Hans Küng, dem muss, nach kanonischem Recht, die Lehrbefugnis entzogen werden. Aus keinem anderen Grund konnten auch die abtrünnigen Bischöfe des alten Ritus, der Pius-Bruderschaft, wieder aufgenommen werden – sie stellten klar, dass sie sich dem Primat des Papstes beugen, und räumten damit die rechtlichen Hindernisse aus dem Weg. Der Papst ist der Nachfolger Petri, der in der Tradition steht und diese schützt. Als Kardinal hat Joseph Ratzinger die päpstlichen Lehrentscheidungen zugeschriebene »Unfehlbarkeit« in diesem Sinne ausgelegt: als Unterwerfung unter die Tradition.
Als Kind war der Papst für mich eine Figur zwischen Himmel und Erde. Er war der Weltherrscher. Die Menschen knieten sich hin, wenn er in der Sänfte durch die Menge getragen wurde. Papst Pius XII. war für mich ein Name, der aus heftigen, lauten Diskussionen zwischen meinem Vater und seinen Brüdern
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