Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Pontifikat von seinem Ende her überblickt, sieht den gewaltigen Zeitenwandel, den es überspannt hat. Es begann tief in der erfrorenen alten Welt der politischen Blöcke, und es erlosch im heißgelaufenen, alternativlosen Hochbetrieb des Kapitalismus. Gegen dessen Vulgarisierungen und Zynismen und Erbarmungslosigkeiten kämpfte er in den letzten Jahren seiner Amtszeit an, zunehmend bitterer. Das hat er als große Tragik empfunden: dass sich seine millennischen Hoffnungen nicht erfüllt haben. Die Welt ist nach dem Fall des gottlosen
Kommunismus nicht zum Heil erwacht, sondern ziemlich geschlossen zum gottlosen Kapitalismus übergelaufen.
Die Moderne – ein fast übermächtiger Feind für Glauben und Heil. Dabei war er selbst ein Papst der Moderne. Ja, das Außerordentliche an ihm war, dass er nicht nur außen vor war, sondern immer auch mittendrin. Schon wenn er nur der religiöse Popstar gewesen wäre, als den man ihn immer wieder durch die Feuilletons gezogen hat, hätte dieser Karol Wojtyla, alias Papst Johannes Paul II., eine respektgebietende Bilanz vorzuweisen gehabt und durchaus alles überragt, was sich im Superstar-Geschäft sonst so die Klinke in die Hand gibt.
Der Papst ist bekannter als die Rolling Stones. Er war länger dabei als Madonna. Und noch nicht mal Michael Jackson zu seinen besten Zeiten hat vier Millionen Besucher mobilisiert wie Johannes Paul II. 1995 zu seiner Messe in Manila. Doch dann war er nie nur mittendrin, sondern außen vor: Wo sich heutzutage jede jugendschnittige Message in Ironien auflöst, war die Botschaft des Papstes stets von mystischer Beharrung. Wo alles nur noch Spiel ist, verkörperte er die Spielverderberei. Er sagte: Hinknien, Rosenkranz beten!
Was dagegen die Mehrheit anmacht, nannte er die »Zivilisation des Todes«. Und wenn über 800 Millionen auf der Welt hungern, sagte er noch, ist das irdische System kaputt. Er sagte: Die Party ist aus. Dass er damit besonders bei den Jugendlichen ankam, gehört zu den Paradoxien seines Papsttums. Vielleicht spürten sie immer schon, dass da jemand zu ihnen sprach, statt sich anzubiedern. Oder besser gesagt: nuschelte, denn seit Jahren war er sichtlich hinfällig.
Ja, er war auf geradezu obszöne Weise das Gegenteil von Jugend in einer jugendbesessenen Welt. Für Videoclips eignete sich das nicht mehr, wie er, aufs pastorale Kreuz gestützt, im Vorhof des Todes noch gerade das hervorstieß, was er der Welt mitgeben wollte, unter Aufbietung letzter Kräfte. Dennoch strömte die Jugend zusammen, wenn er nach ihr rief. Auf dem Weltjugendtag in Paris 1997 waren es über eine Million, auf dem
in Rom 2000 zwei Millionen. In Toronto 2002 ist er im Helikopter eingeschwebt, und er hat die Jugend dazu aufgerufen, im Menschenstaat den Gottesstaat zu errichten, das Salz der Erde zu sein und das Licht der Welt. Teenager brachen darüber in Freudentränen aus, Beobachter sprachen von einem Rockkonzert ohne Drogen. Merkwürdig.
Die Sprache der Religion ist wohl schon immer eine ekstaseverwandte gewesen und damit eine Verbündete der Jugend. Versenkung und Entgrenzung, das, so viel haben die Jugendlichen mitbekommen, war die Motorik dieses polnischen Abenteuerpapstes, dieses nicht-italienischen Außenseiters der Kurie, der seine Angst gestand, als er 1978 berufen wurde.
Der Papst und die Jugend, eine beiderseitige Liebesgeschichte. Früher ist er gemeinsam mit Bob Dylan vor Hunderttausenden von Jugendlichen aufgetreten und besprach mit Bono die Initiative zur Entschuldung der armen Länder. In seinen letzten Jahren wurde er von Teenagern verehrt wie ein wagemutiger Schiffbrüchiger am Ende einer besonders dramatischen Lebensreise.
Jeder kennt sie, zumindest in hagiografischen Bruchstücken: wie sie 1920 begann, in einer Kleinstadt fünfzig Kilometer vor Krakau, erste Besuche am Grab der früh gestorbenen Mutter, später des Bruders, des Vaters. Dann der Sturm und Drang. Das Studium in Krakau, Karol Wojtyla als Marien-Romantiker, als dilettierender Dichter und Schauspieler; wie nahe doch die erträumten Heldenrollen beieinanderliegen: Priester, Feuerkopf, Liebhaber. Während des Zweiten Weltkriegs die Zwangsarbeit im Steinbruch, um sich der Deportation nach Deutschland zu entziehen, dann die Untergrundarbeit, lauter verwegene Kino-Archetypen, das Priesterseminar, der christliche Widerstand, die Theatergruppe »Rapsodyczny«.
1946 ist Karol Wojtyla Priester, 1958 Weihbischof, 1967 Kardinal, 1978 Papst. Jedes Dezennium ein Karrieresprung
Weitere Kostenlose Bücher