Das katholische Abenteuer - eine Provokation
– das sind keine Zufälle, sondern das Ergebnis einer beachtlichen Zielstrebigkeit und der Bereitschaft zu einem unglaublichen
Arbeitspensum. Ohne Sendungsbewusstsein geht so was nicht. Eine Art Gottesglut arbeitete in ihm, und die übertrug sich und bot sich an in der Ära des Niedergangs der Ideologien und des steigenden Angeekeltseins über den schieren Warenverkehr.
Allerdings hat es dieser lachende, scherzende, polternde, grimmige — auf jeden Fall: identifizierbare — Papst seinen Anhängern nie leicht gemacht, trotz aller Papamobile, aller roten Teppiche und Rollbahnküsse und jovialen Gesten. Er war kompromisslos. Er verlangte unbedingten Gehorsam, nach der traditionellen Devise »Roma locuta, causa finita« – Rom hat gesprochen, der Fall ist abgeschlossen.
Seine Moraltheologie galt Kritikern stets als Skandal. Wobei es durchaus aufschlussreich ist, dass es heutzutage die Aufrufe zu Keuschheit und Monogamie sind, die als skandalös empfunden werden. Zumindest in der Ersten Welt hat man bisweilen den Eindruck, dass kein Recht so vehement verteidigt wird wie das auf sofortigen Orgasmus, wo, wie, wann und mit wem auch immer. In einem Schreiben zu seinem silbernen Amtsjubiläum präzisierte dieser Papst dagegen noch mal seine Position zum Zölibat: »Für die Kirche und die Welt von heute stellt das Zeugnis der keuschen Liebe auf der einen Seite eine Art spirituelle Therapie für die Menschheit dar, auf der anderen Seite einen Protest gegen die Vergötzung des Sexualtriebs.« Unnötig zu sagen, dass er härtestes Vorgehen gegen die pädophilen Missbrauchstäter in den eigenen Reihen anordnete. Die Haltung des Papstes zur Abtreibung (Sünde!) war geradezu haarsträubend unzeitgemäß, aber er hat sich auch nie als Vollstrecker des Zeitgeistes gesehen. Nein, dieser Papst verlangte stets einiges an gegenaufklärerischer Selbstverleugnung — aber genau damit kam er an.
Zum Weltjugendtag im August 2005 in Köln, den er dann nicht mehr erlebt hat, hatte er in der schwebenden assoziativen Sprache des Glaubens eingeladen: Macht euch auf die Reise, die eine innere genauso wie eine äußere sein soll. Und dann reichte er die eher unverträglichen, überhaupt nicht schmusefreundlichen
Reisebedingungen nach: »Leider gibt es Menschen, die die Lösung der Probleme in religiösen, mit dem christlichen Glauben unvereinbaren Andachtsübungen suchen. Stark ist der Drang, an falsche Mythen des Erfolgs und der Macht zu glauben; es ist gefährlich, verschwommenen Auffassungen des Heiligen anzuhängen, die Gott unter der Gestalt der kosmischen Energie darstellen, oder in anderen Formen, die nicht mit der katholischen Lehre übereinstimmen.« Das war die deutliche Abgrenzung zu den anderen Produkten auf dem gegenwärtigen Heilsmarkt, den kalifornischen Geldkirchen etwa und indischen Celebrity-Gurus und dem Kabbalisten-Zirkus um Madonna. Die katholische Kirche, so Papst Johannes Paul II., ist keine Feel-good-Veranstaltung für jedermann: entweder wir oder die anderen. Beides geht nicht.
Im Rückblick mag man sich darüber streiten, ob Wojtyla ein Papst der Integration oder des Ausschlusses war. Er hat die Aussöhnung mit den Juden und den großen Weltreligionen gesucht, aber den katholischen Weg als einzig wahren propagiert. Er hat um Vergebung für vergangene Kirchen-Verbrechen wie die Inquisition gebeten, aber gleichzeitig hat er dogmatisch geeifert. Er hat der katholischen Kirche Millionen von Gläubigen in der Dritten Welt dazugewonnen, um in der Ersten Welt weiter zu verlieren. Er, dem Popularisierungen und Trivialisierungen vorgeworfen wurden, hielt immer wieder Brandpredigten gegen den Missbrauch des Kruzifixes als Modeaccessoire, gegen die Klunkerkreuze von Victoria Beckham, Liz Hurley, Catherine Zeta-Jones und Co. und ihre degoutanten Plünderungen der katholischen Ikonografie.
Man muss dieses Papsttum als Gegenoffensive lesen. Seine 1300 Selig- und Heiligsprechungen etwa, mehr als alle anderen Päpste vor ihm: Es ist, als ob er gegen den heillosen Zirkus der Pop-Idole und -Ikonen seine eigene katholische Armee aufmarschieren lassen und gegen die Narrationen von absurdem Reichtum andere Helden ins Gespräch bringen wollte, solche des Leidens und der Aufopferung und der inneren
Disziplin, wie im Falle der Mutter Teresa. Bisweilen wurden diese Prozesse als politische Statements verstanden, etwa die stets als düster apostrophierte Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaría Escrivá. Das irritierte ihn nicht im
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