Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
in ihrem wollweißen Strickkostüm und mit perfekt geföhnten Haaren mitten in der pudergezuckerten Straße stand und ihrem Mann die Arme entgegenstreckte. Beide sagten kein Wort und bemerkten kaum, wie Ingmars Vater die kleine Reisetasche seines Sohns neben sie abstellte und wortlos davonfuhr. Lisa und Ingmar Suhrhoff standen sich gegenüber, als befänden sie sich in der Kirche bei ihrer eigenen Trauung.
„Willkommen daheim, mein Schatz“, flüsterte Lisa.
„Du siehst so gut aus. Ich hatte fast vergessen, wie schön du bist“, sagte Ingmar leise.
„Komm, wir werden ganz nass und kalt, wenn wir noch länger hier draußen stehen. Oh, meine Schuhe, Mist“, lachte sie gekünstelt.
„Mir ist nicht kalt, mir wird heiß, wenn ich dich seh.“
Verlegen lächelten sie sich an und gingen händchenhaltend in ihr Haus.
Hanna und Elaine klebten in Hannas Haus förmlich am Fenster. Den ganzen Vormittag hatten sie Ingmars Rückkehr entgegengefiebert und wollten unbedingt wissen, wie Lisa sich verhalten würde. Eigentlich wussten sie es auch schon vorher. Sie verstanden Lisa einfach nicht. Wie viele Tage und Nächte die Freundinnen auf sie eingeredet hatten, konnten sie nicht mehr zählen. Lisa sollte verdammt nochmal ihren bescheuerten Prügelgatten verlassen und ein Leben ohne ihn beginnen. Sie hatte es all die Monate ohne ihn geschafft und würde es auch zukünftig hinbekommen. So sahen zumindest Hanna und Elaine es. Doch Lisa fing jedes Mal an zu heulen und jammerte, dass sie die Zeit ohne ihre komplette Familie zwar überlebt habe, aber wie, das interessiere offenbar niemanden.
Trotz des fehlenden Stolzes ihrer Nachbarin, hofften Hanna und Elaine bis zum Schluss, dass Kotzbrocken Ingmar an seiner Haustür klingelte, wie er sie verlassen hatte: pöbelnd und aggressiv. Würde er schon draußen seiner Frau eine scheuern, wollten Hanna und Elaine sofort die Polizei anrufen. Aber es kam ganz anders und ihnen bot sich ein Bild, das an Kitsch kaum zu überbieten war.
„Hat sie zu viel Schneewittchen geguckt, oder was?“, ätzte Elaine, Hanna kicherte kurz. Beide nippten an ihren Cappuccinos und starrten in den Schnee.
„Ich fass es einfach nicht, wie sie ihn anhimmelt. Das gibt es doch nicht! So blöd kann doch keine Frau sein, oder? Nach allem, was dieses Schwein getan hat, nach allem, was sie erlebt hat! Da stellt sie sich in einem Traum in weiß in ihren Vorgarten und mimt die Verliebte!“
Hanna war außer sich vor Wut. So dumm war ja noch nicht einmal sie! Dass sie und Sören sich versöhnt hatten, lag einzig und allein an Kimberley. Ihre Kleine hatte genug gelitten und musste gesund werden. Das ging nur, wenn Sören und Hanna ein intaktes Elternhaus böten. Aber bei Lisa war es anders. Was hatten deren Kinder davon, wenn ihr schrecklicher Vater zu Hause wieder herumprügelte? Nein, das konnte Hanna nicht verstehen.
„Ich bin durch mit der“, sagte Elaine und setzte sich zurück an Hannas Küchentisch. „Die ist mir wirklich zu dämlich. Ich fand sie früher bescheuert und heute eben wieder. Tut mir leid, aber ich will mit Lisa nichts mehr zu tun haben.“
„Meinst du das ernst? Und wenn sie uns braucht? Wer weiß, was da drinnen grad wieder abgeht!“
„Ist doch ganz klar, was da abgeht. Die beiden gehen hoch ins Schlafzimmer und poppen. Danach kriegt sie eine gedonnert und alles ist wie immer. Nee, mir ist das zu blöd. Die schafft den Absprung nie. Das ist jetzt ihr Problem, ich habe genug eigene Probleme.“
„Also, ich weiß nicht. Ich hab mich irgendwie so an uns drei gewöhnt“, sagte Hanna, „mir würde Lisa fehlen. Nein, ich breche den Kontakt nicht ab. Noch nicht zumindest. Aber du hast schon recht, auf Dauer ist das einfach nur frustrierend. Was soll denn noch passieren, bis sie endlich mal aufwacht?“
„Nichts, Hanna. Es gibt absolut nichts, was Lisa von ihrem Herrn und Gebieter wegbringt. Kein Folterkeller, kein Knast, kein abgestochener Fredi Kummer und kein Selbstmordversuch. Die spinnen – alle beide.“
Nachdenklich öffnete Hanna den Kühlschrank und griff nach einer Tarte, die sie gestern vorbereitet hatte. Bis Kimmy aus der Schule zurückkäme, würde sie diese zusammen mit Elaine vertilgen. Wenn man keine Antworten mehr hatte, war essen immer gut.
***
Dem Unterricht zu folgen fiel Kimberley schwer. Außerdem hasste sie Mathe sowieso wie die Pest. In Deutsch und Englisch ging es, da konnte sie sich konzentrieren und zumindest zwanzig Minuten am Stück ausschließlich an
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