Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
sich Ihre Tochter an die letzten zwei Tage nicht mehr erinnern, wenn sie aufwacht. Vermutlich wird sie auch einige Wochen benötigen, um wieder ganz auf dem Posten zu sein. Seien Sie positiv, das überträgt sich auch auf die Patientin. Nur in seltenen Fällen gibt es Probleme und Komplikationen. Ich kann Ihnen da natürlich keine Versprechungen machen, das müssen Sie verstehen.“
„Hm, ja, natürlich. Also kann man einfach nur abwarten? Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?“
„Natürlich. Wir hören immer wieder von Patienten, dass sie sehr wohl mitbekommen haben, was während ihrer Bewusstlosigkeit um sie herum geschehen ist. Sie haben doch bestimmt auch schon Berichte langjähriger Komapatienten gehört, oder?“
„Ja. Oh Gott, hoffentlich ist Chantalle nicht im Koma! Das muss man doch aber rausfinden können, oder? Es ist doch ein Unterschied, ob man ohnmächtig oder im Koma ist!“
Der Arzt ging nicht auf Elaines aufgeregte Worte ein, sondern sagte:
„Spielen Sie ihr ihre Lieblingsmusik vor. Nicht in Endlosschleife und nicht laut, aber ruhig mal so eine halbe Stunde. Lesen Sie ihr vor aus der Tageszeitung oder was junge Frauen sonst so interessiert. Eher ein Modemagazin, nehme ich an. Sprechen Sie mit ihr. Sie spürt das bestimmt… Ich muss jetzt weiter. Morgen Vormittag habe ich hier wieder Visite. Auf Wiedersehen.“
Weg war er. Elaine schaute ratlos auf Chantalle. Sie sah wirklich so aus, als ob sie nur schliefe. Nicht blass oder krank, einfach nur müde.
„Ach Channi. Was für ein Mist“, sagte Elaine mit leiser Stimme. „Das war wohl ein ziemlich überflüssiger Unfall, nicht? Wir müssen uns wirklich besser am Riemen reißen, wenn du wieder fit bist. Irgendwie sind wir beide ausgerastet und haben die Kontrolle verloren. Das geht so nicht, ich bin doch deine Mutter.“
Tränen traten ihr in die Augen, während sie mit einer Hand über Chantalles Decke strich, wieder und wieder. Stockend redete sie weiter:
„Hoffentlich hat der Arzt recht und du hast die letzten Tage vergessen, wenn du aufwachst. Ich wünsche es mir so sehr. Bitte, Channi, wach doch auf und wir vergessen alles. Im wahrsten Sinne des Wortes.“
Langsam öffneten sich Chantalles Augenlider und ihr Oberkörper bewegte sich leicht. Elaine wollte auf den Klingelknopf drücken und sofort eine Schwester herbeirufen. Ihr Kind war wach!
„Channi! Ich bin’s, Mama. Alles ist gut, bleib ganz ruhig, alles ist gut.“
„Mama?“, flüsterte Chantalle kaum hörbar.
„Ja, ich bin hier.“
Chantalle hustete trocken und rang nach Luft. Langsam hob sie eine Hand und winkte Elaine zu sich runter. Elaine senkte den Kopf, bis sie ganz dicht vor Channis Gesicht war. Ihre Tochter flüsterte ihr ins Ohr:
„Das würde dir so passen, was, Mama? Amnesie, dass ich nicht lache. Ich erinnere mich an alles, an jede einzelne Sekunde. Du hast mich geschubst. Das war kein Unfall, das war Körperverletzung.“
Teil 4 – Im Dunkeln
Jetzt hing alles von ihr ab. Wenn sie sich richtig verhielt, würde Ingmars Rückkehr harmonisch verlaufen und er wäre nicht gleich wieder wütend auf sie. Alle Besuche im Gefängnis waren im Streit geendet, so sehr Lisa sich auch bemühte ihren Mann nicht aufzuregen. Es war, als hätte sie ihre alte Fähigkeit, sich perfekt auf Ingmar einzustellen, im Laufe der Monate verloren. Hektisch lief sie von einem Zimmer ins nächste und kontrollierte, ob alles genau so aussah, wie Ingmar es schätzte. Verändert hatte sich ohnehin nichts. Suhrhoffs besprachen jedes klitzekleinstes Detail in ihrem Haus. Lisa würde sich noch nicht einmal eine Bratpfanne ohne die Erlaubnis ihres Mannes kaufen.
Sie schluckte trocken, denn ihr fiel ein, dass sie durchaus ein paar Dinge verändert hatte. Das neue Türschloss, ein Warnschild mit Hund – bereits diese Kleinigkeiten könnten den Heimkehrer daran erinnern, was alles in seiner Abwesenheit passiert war. Nein, nicht dran denken, sagte Lisa sich, und ihr Herz schlug immer schneller. Um sich selbst zu beruhigen, schaltete sie den Fernseher ein und drehte den Ton auf ganz leise, damit sie auch ja die Geräusche auf der Straße nicht verpasste. Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis es endlich soweit war und das Auto ihrer Schwiegereltern vor dem Haus hielt.
Zitternd vor Anspannung, Angst und Freude ging Lisa ihrem Schatz entgegen. Sie vergaß völlig, wie kalt es draußen war und dass ihre schmalen Pumps vom Schnee Flecken bekommen könnten. Ganz unwirklich war die Szene, als sie
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