Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
Sie musste dieses Ding loswerden. Noch nie hatte Channi sich für Kinder interessiert und süße Babyfotos lösten in ihr höchstens ein knappes Lächeln aus, ganz so, als wäre ein Strand oder eine schöne Skipiste abgebildet. In ihrem Leben hatte sie für so was keinen Platz, weder mit 18 noch mit 28, da war sie sich einfach ganz sicher. Vielleicht lag es an ihrer eigenen verkorksten Kindheit. Wer keine Mutterliebe bekommen hatte, konnte eben auch keine weitergeben. Umso besser für die Abtreibung, denn außer körperlichen Schmerzen befürchtete sie keine weiteren Probleme. Eigentlich könnte sie sich auch gleich danach erkundigen, ob man bei der Gelegenheit eine Sterilisation durchführen würde. Damit ersparte sie sich zukünftig die lästige Pillenschluckerei, die sich nun offenbar noch nicht mal gelohnt hatte. Chantalle seufzte einmal tief und war froh, als es endlich weiterging.
„Guten Tag, Frau Mahler. Meine Mitarbeiterin erwähnte, dass sie möglicherweise schwanger sind?“, fragte Herr Doktor Chalil. Chantalle mochte ihn, weil er genauso unnahbar rüberkam wie sie selbst.
„Hallo, ja, ich bin zwei Wochen überfällig und ein Test aus der Apotheke fiel leider eindeutig aus. Um auf den Punkt zu kommen: Ich möchte eine Abtreibung.“
„Immer mit der Ruhe, wir schauen erst einmal nach. Legen Sie sich bitte dort hin und machen den Bauch frei.“
Widerwillig legte Chantalle sich auf die Pritsche und ließ sich kühles Gel auf den straffen und sonnenbankgebräunten Körper schmieren. Und dieses Produkt harter Arbeit sollte sie ausleiern lassen? Im Leben nicht! Dr. Chalil fuhr mit dem Ultraschallgerät auf dem Bauch umher und schaute auf den Monitor, während Chantalle genervt die Augen schloss. Hoffentlich wäre er gleich mal fertig und würde dann einen Raum weiter diesen Zellklumpen entfernen.
Dann hörte sie das Herz schlagen, ganz laut und deutlich.
„Bin ich das?“, fragte Chantalle und fuhr mit dem Kopf zur Seite, um auf den Bildschirm zu schauen. Das war nicht ihr Herz, sondern das aus ihrem Bauch, was dort schlug.
„Herzlichen Glückwunsch, Frau Mahler, Sie sind tatsächlich schwanger. Ich tippe mal auf zehnte oder elfte Woche.“
„Was? Das kann nicht sein, ich hatte letzten Monat doch noch meine Tage! Gucken Sie noch mal genauer, bitte.“
Sie schaute selbst genauer. Irgendetwas Neues machte sich in ihr breit. Ein warmes Gefühl, das sie sonst nicht kannte. Man konnte schon erahnen, dass aus diesem pochenden Etwas ein Mensch wurde. Ihr Baby, das in ihr wuchs.
„So was kommt schon mal vor. Durch die Einnahme der Antibabypille handelt es sich ja nicht um die richtige Regelblutung, wie Sie sicherlich wissen.“
Stimmt, das wusste sie und hatte es komplett verdrängt. Nun kamen viel mehr potentielle Väter in Betracht, denn vor drei Monaten boomte der Escort-Service. Aber eigentlich war es auch egal. Das hier war ihr Kind und es ging niemanden etwas an, wer der Erzeuger war.
„Elfte Woche. Wenn wir die Schwangerschaft abbrechen wollen, müssen wir uns beeilen, Frau Mahler. Ich empfehle Ihnen dringend, sich mit ihrem Partner darüber zu unterhalten und auch Ihre Eltern mit in die Entscheidung einzubeziehen. Ein Abbruch kann zu schweren Depressionen führen. Außerdem sind sie gar nicht mehr so jung – eigentlich wirken Sie auf mich sogar sehr reif und erwachsen. Das haben schon ganz andere geschafft! Denken Sie bitte gründlich nach und gehen tief in sich. Meine Mitarbeiterin vereinbart für Sie gleich einen Termin bei einer Beratungsstelle. Wenn Sie sich tatsächlich für einen Abbruch entscheiden sollten, sehen wir uns in spätestens drei Tagen.“
„Ich brauche keine Beratung.“
„Dazu sind Sie verpflichtet. Verstehen Sie …“
„Ja ja“, unterbrach Chantalle den Mediziner unwirsch, „ich hab es mir anders überlegt. Ich behalte das Kind doch.“
Sie griff nach einem harten, grauen Papiertuch und wischte sich den Bauch sauber. Wortlos reinigte der Gynäkologe seine Geräte und wünschte nur noch einen schönen Tag, als Chantalle eilig das Sprechzimmer verließ. Vorbei am Empfang und nur raus hier, mehr wollte sie nicht. Was für ein Mist, ein Kind! Aber sie konnte es nicht umbringen. Warum, das wusste sie selbst nicht so genau, aber sie spürte ein nie dagewesenes Band zu einem anderen Menschen. Sonst fühlte Chantalle sich immer so sicher in allem, was sie tat und dachte, doch jetzt senkte sie den Blick und ging ziellos durch die Straßen. Und jetzt? Ihre Eltern ging
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