Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
verrückt, hektisch und unwirklich, so dass selbst sie sich den Auftritt nicht abnahm. Ihr traten die Tränen in die Augen. Was sollte sie nur tun? Vielleicht hatte sie gleich eine Kugel im Rücken und das war’s dann mit einem Leben mit ihrem Baby unter Frankreichs Sonne.
Ingmars Blick suchte die Straße ab. Von oben rief Lisa nach ihrem Mann.
„Ist der Krankenwagen schon da? Ingmar?“
„Nein, bleib oben!“, brüllte er.
Er packte Chantalle am Arm und zog sie zu sich. In dem Moment sprang Mike auf die Stufe. Julia, die fassungslos hinter ihrem Vater stand, trat erschrocken zurück. Ingmar und Chantalle kamen ins Trudeln, landeten im Hauseingang. Mike drückte die Meute ins Haus, zog die Tür hinter sich zu. Mit dem rechten Arm hielt er Chantalle von hinten im Würgegriff, links griff er nach seiner Pistole. Ingmars Augen wurden zu Schlitzen.
„Mein Sohn ist verletzt. Wir warten auf den Krankenwagen. Ich würde empfehlen, dass wir jetzt alle einen kühlen Kopf bewahren. Lass uns morgen sprechen. Ich erklär dir alles, aber jetzt geht es nicht. Gleich kommt der Notarzt, verstehst du?“
Schon im Knast hatte Mike diese Unterlegenheit gespürt, sobald Ingmar mit ihm sprach. Zwar war Mike der Stärkere und kannte sich tausendmal besser im Milieu aus, doch Ingmar schüchterte ihn mit seiner Überheblichkeit ein. Trotzdem, er durfte sich davon jetzt nichts anmerken lassen. Noch grober drückte er Chantalle an sich, die panisch nach Luft rang.
„Die Weiber in dein Kellerzimmer, sofort“, presste Mike raus.
„Meine Tochter geht in ihr Zimmer. Die Schlampe kann ins Kellerzimmer. Julia, ab nach oben.“
„Aber Papa, was ist mit Sebastian?“, weinte Julia verzweifelt. Woher kannte dieser wildfremde Mann ihr Haus? Was war hier eigentlich los?
Ingmar wurde alles zu viel. Er musste dafür sorgen, dass Sebastian ins Krankenhaus kam, außerdem musste er Mike loswerden. Verdammte Scheiße! Was wollte eigentlich die Tochter von dieser Mahler hier? In Ingmars Kopf ratterte es, er wurde immer wütender. Wollten die ihn alle verarschen? Vor der Tür flackerte blaues Licht. Endlich, der Krankenwagen war da. Jetzt musste er Entscheidungen treffen; er würde sie sich nie und nimmer von diesem gehirnamputierten Mike aus der Hand nehmen lassen.
„Julia, du fährst mit Mama und Sebastian ins Krankenhaus. Geh nach oben und warte auf den Arzt. Ich kümmer mich hier um den Rest. Los!“, fuhr er sie an. „Mike, kümmer du dich um die Schlampe, ich komm gleich, wenn alle hier weg sind. Ab jetzt!“
Mike und Chantalle verschwanden. Das war doch ein totales Irrenhaus hier! Schwer atmend öffnete Ingmar den beiden Männern vom Rettungsdienst die Tür. Er schickte sie nach oben, lief hinterher. Lisa kniete weinend neben Sebastian, Julia hatte sich mit schreckgeweitetem Blick in die Ecke des Zimmers verdrückt. Während Ingmar dem Notarzt die wichtigsten Dinge erklärte, fummelte der Sanitäter an dem leblos wirkenden Kind herum.
„Was ist mit ihm?“, schluchzte Lisa. „Er ist doch nicht …“
„Nein, er lebt. Zwei Personen können mit uns fahren, mehr Platz haben wir nicht. Bitte packen Sie eben die wichtigsten Dinge zusammen, wir sind in etwa drei Minuten abfahrbereit. Denken Sie auch an die Versichertenkarte. Bitte beeilen Sie sich.“
„Meine Frau und Tochter fahren mit Ihnen mit, ich komme mit dem Auto hinterher“, bestimmte Ingmar.
Hatte ihre Mutter gar nichts von den Leuten unten mitbekommen? Julia starrte mit offenem Mund von einer Person zur anderen. Sie verstand nicht, warum niemand etwas bemerkte. In ihrem Haus war ein Verbrecher mit einer Geisel! Eigentlich müsste sie jetzt ein Zeichen geben, aber sie traute sich nicht. Die Ereignisse überschlugen sich, Julia kam nicht mehr hinterher. Wenige Minuten später saß sie bereits auf einem kleinen Klappsitz im Krankenwagen. Ihr Bruder hatte überall Schläuche und Kabel, ihre Mutter saß weinend direkt neben ihm und die Männer wurschtelten an ihm rum. Von innen sah das Blaulicht komisch aus. Es kam Julia so vor, als würden sie lautlos durch die Dunkelheit rasen. Sie konnte nicht rausgucken, aber Sebastians Anblick war auch zu viel für sie. Also schloss Julia die Augen und wartete, dass irgendjemand sie aus diesem Albtraum aufwecken würde.
***
Sie schwor sich, ein besserer Mensch zu werden. In der Vergangenheit war vieles schiefgelaufen, doch wenn sie das hier zusammen mit Celeste überlebte, würde sie sich nie mehr in die Dinge anderer Leute
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