Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
keinen Fehler mehr machen. Wenn es eine Chance für ihre Familie gab, dann die, dass Kimberley und Sören gerne zu Hause waren. Was lag da näher, als von früh bis spät mit verführerischen Gerüchen in die Küche zu locken? Morgens buk Hanna Brötchen und Croissants vom Vortag auf. Sie hatte das Timing perfektioniert, so dass alles schmeckte wie frisch vom Bäcker. Dazu servierte sie Rührei und Speck, warmen Kakao und Cappuccino. Jeden Mittag gab es eine aufwendige Speise. Dreimal die Woche Fleisch, einmal Fisch, einmal Suppe, und dann Pasta und Pizza in allen Variationen, weil Kimmy das so liebte. Dazu immer einen frischen Salat und im Anschluss leckere Desserts. Am Nachmittag stand stets ein selbstgebackener Kuchen oder knusprige Kekse auf dem Esstisch und abends fanden die Leckereien ein Ende mit diversen Brotsorten, Eiersalat und den fangfrischesten Krabben, die Hanna auftreiben konnte.
Sören gefiel der Service. Zwar war er nie ein großer Esser gewesen und auch jetzt probierte er von vielen Speisen oft nur einen Happen, doch er genoss die Vielfalt. Außerdem meckerte Hanna neuerdings nicht mehr rum. Sie ließ sich äußerlich gehen, nahm weiter zu. Ihre Garderobe bestand aus zwei ausgebeulten Jeans, zwei Shirts und zwei Cardigans – und das immer im Wechsel. Ihre Haare ließ sie an der Luft trocknen, schminken fiel fast komplett aus. Wen kümmerte es? An ein erneutes Liebesleben glaubten weder Hanna noch Sören. Kimberley schien kaum zu registrieren, dass ihr Zuhause zu einer Art schützendem Kokon geworden war. Wie ein Hotel auf einer einsamen Insel, das mit frischer Bettwäsche und den köstlichsten Leckereien aufwartete.
Vom Hausarzt hatte Hanna ein Attest für Kimmy besorgt. Inzwischen war es ihr egal, ob Kimmy das Schuljahr würde wiederholen müssen oder nicht. Am liebsten wäre ihr sowieso, wenn alle neu anfangen könnten. Kimmy könnte vielleicht in eine Privatschule gehen – die es allerdings hier nicht gab. Dazu müsste man umziehen; Sören dachte noch nicht einmal im Traum daran. Hanna zwang sich, das Grübeln zu lassen. Konzentriert machte sie mit ihrem Gemüseeintopf weiter und erfreute sich ihrer neuen Küchenmaschine. Irgendwie war sie schon richtig süchtig nach Küchengeräten. Schmunzelnd beobachtete sie den elektrischen Gemüsehobel bei seiner Arbeit, während von hinten unbemerkt ihre Tochter den Raum betrat.
„Was gibt es denn heute Abend, Mama?“
„Oh, Süße, willst du mir helfen? Das hier ist für morgen Mittag, eine Suppe mit Hack und Gemüse. Aber wir können das natürlich auch schon heute essen, wenn du willst. Dauert allerdings noch etwas. Hast du Lust die Tomaten zu schnippeln?“
„Nee. Mann, ich bin total durcheinander, hab eben geschlafen und jetzt ist es schon dunkel. Kannst du Waffeln machen?“
Hanna schluckte kurz. Sie wusste genau, dass Kimmy die Situation schamlos ausnutzte, aber andererseits – warum sollte sie ihr keine Waffeln backen? Kimberleys Leben war schon schwer genug, da konnte man sie auch verwöhnen.
„Klar, gib mir mal das Waffeleisen aus dem Schrank da hinten; ich mach gleich den Teig.“
Genau in dem Moment, als Hanna den Stecker in die Steckdose schieben wollte, gab es einen kurzen Knall. Stromausfall. Hanna seufzte laut, Kimmy schimpfte wie ein Rohrspatz. Im ganzen Haus waren die Lichter aus, die Küchenmaschine verstummte, die Digitaluhr wurde schwarz.
„Bleib du hier stehen, ich geh zum Sicherungskasten. Immer, wenn man Papa braucht, ist er nicht hier …“, sagte Hanna und tastete sich zur Abstellkammer. Komisch, es war echt stockfinster, auch von draußen drang kein Licht ein. Echt seltsam, dass der Strom ausfiel, obwohl sie doch noch gar nichts gemacht hatte.
„Mama“, rief Kimberley, „bei den anderen ist der Strom auch ausgefallen. Haha, du hast mit deinen ganzen Geräten hier die Veilchengasse lahmgelegt! Ich lach mich tot!“
Das war das erste Mal seit Wochen, dass Kimberley lachte. Obwohl Hanna am Stromkasten nestelte und fluchte, weil sich überhaupt nichts tat, freute sie sich gleichzeitig über den spontanen Gefühlsausbruch ihres Kindes. Kimmy lachte sich fast kaputt und Hanna stimmte mit ein.
„Echt? Drüben ist auch alles dunkel? Das gibt’s doch nicht, verrat mich bloß nicht! Tatsächlich, auch bei Lisa ist es düster. Sogar die Straßenlaternen. Oder waren die noch gar nicht an?“
„Weiß ich nicht. Haha, das ist so witzig, wir sitzen im Dunkeln. Haben wir noch Kerzen im Flurschrank?“
Nachdem Hannas
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