Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
Elektrikerbemühungen erfolglos geblieben waren, fiel ihr jetzt auch nichts Besseres ein. Sie und Kimmy verteilten im gesamten Erdgeschoss brennende Kerzen und Teelichter. Ob sie Sören anrufen sollten? Aber der konnte auch nicht zaubern; außerdem fühlte sich Hanna mit ihrer Tochter so kuschelig und gemütlich, dass sie am liebsten die Zeit angehalten hätte. Nun konnte sie zwar weder kochen noch backen, auch fernsehen oder Musik hören funktionierte nicht, aber das war ihr egal.
Draußen blieb alles düster. Kimberley setzte sich Fingernägel kauend aufs Sofa und ließ sich von ihrer Mutter mit Schnittchen und Käsespießen verwöhnen. Die beiden waren vermutlich die Einzigen in der Veilchengasse, denen der Stromausfall gefiel.
Elaine lag grad in der Wanne, als die Lichter ausgingen. Sie hatte es sich ohnehin bequem gemacht und im Schein einer Kerze in den Wasserdampf gestarrt. Das letzte Mal, dass sie etwas bei Kerzenschein getan hatte, war sie glücklicher gewesen. Sie dachte an Leo, seine Küsse und Umarmungen. Immer wieder schoben sich Bilder von ihm und Chantalle vor ihr geistiges Auge. Wenn sie ihn doch einfach vergessen könnte … Es machte „Zisch“ und wurde duster. Mist, hoffentlich war der Saft gleich wieder da, denn Elaine wollte es sich bei einem Spielfilm im Fernsehen gemütlich machen. Sie blieb im warmen Wasser liegen und wusste nicht recht, was sie tun sollte. Draußen schien auch alles dunkel zu sein – die anderen in der Veilchengasse saßen wohl ebenfalls im Finstern. Vorsichtig stieg sie aus der Badewanne, damit ja die Kerze nicht umfiel. Anscheinend ging es ihren Nachbarn nicht besser; nirgends brannte Licht. Die Straße wirkte wie ausgestorben ohne all die heimeligen Schwippbögen in den Fenstern und den Schein der Lichterketten. Nur der Schnee brachte etwas Helligkeit. Elaine blickte, in ein Handtuch gewickelt, aus dem Küchenfenster nach oben. Der Mond hatte wohl Sendepause heute. Mit nassen Haaren und unbekleidet ging sie ins Bett und starrte weiter Löcher in die Luft.
Bei den Suhrhoffs hing der Haussegen schief. Das hatte zumindest Julia ihrem kleinen Bruder erklärt. Das hätte sie sich auch sparen können, fand Sebastian. Er war kein Baby mehr und wunderte sich eher, wenn der Haussegen mal nicht schief hing. Seitdem Papa im Gefängnis gewesen war, mochte der Junge sein Leben nicht mehr. Manchmal wünschte er sich sogar tot zu sein, so wie das Mädchen aus der Parallelklasse, das an Krebs gestorben war. Dann würden alle weinend an seinem Grab stehen. Vielleicht würde Mama sich dann gleich mit umbringen und sie käme zu ihm in den Himmel. Eigentlich glaubte er gar nicht an die Sache mit dem Leben nach dem Tod, aber er stellte es sich einfach so gerne vor. Vielleicht würde er sogar das tote Krebs-Mädchen wiedersehen. Das war ein schöner Gedanke: Er, Mama und eine neue Freundin.
Sebastian saß an seinem Schreibtisch und fummelte gelangweilt an einem Elektro-Bausatz herum. Den hatte er letztes Jahr von seinen Großeltern zu Weihnachten geschenkt bekommen, obwohl als Altersangabe „ab 16“ drauf stand. Niemand hatte es gemerkt. Bisher war er zu feige gewesen damit Experimente zu machen – und nun stellte er sich zu blöd an. Nichts funktionierte. Ob er Julia und Papa im Himmel vermissen würde? Vermutlich nicht. Wenn Papa nicht immer so gemein wäre, dann würde Mama nicht andauernd weinen. Julia kümmerte sich auch nicht mehr richtig um Sebastian, die konnte er abhaken.
Was wohl passieren würde, wenn er einen richtig fetten Kurzschluss fabrizieren würde? Trotzig machte Sebastian jeden Blödsinn, der ihm einfiel. Er steckte sich Kabel in den Mund und spielte an den verschiedenen Knöpfen des Trafos herum, doch nichts passierte. Wieso wurde er ständig gewarnt vorm Föhn in der Badewanne … Moment, der Föhn! Auf Zehenspitzen schlich Sebastian ins Bad und griff sich Föhn, Glätteisen und Lockenstab seiner Schwester. Das waren alles komische Geräte, die kein Mensch brauchte, aber zum Experimentieren fand Sebastian sie wirklich super. Er brauchte jede Steckdose in seinem Zimmer und drehte die Musik voll auf. Von nebenan hörte er Julias wütendes Gezeter. „Hör auf, du Vollidiot, ich muss lernen! Wenn du nicht gleich leiser drehst, kriegst du einen Eimer Wasser über den Kopf!“
Sebastian musste grinsen. Das würde sie nie tun mit dem Wasser, denn das gäbe richtig Ärger von Papa. Inzwischen war er albern und wartete nur darauf, dass etwas passierte. Sein gesamtes
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