Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
der Hand. Ingmar hatte ja recht. Wenn Lisa damals besser aufgepasst hätte, dann wäre Vivien noch am Leben. Aber dass er deshalb nun so brutal geworden war, das ging selbst Lisa zu weit. Niemand ahnte, was in dem schmucken Häuschen in der Veilchengasse vonstatten ging und sie würde sich überlegen müssen, wie sie erneute Schläge verhindern konnte.
Oben schlief Ingmar tief und fest im Ehebett. Zufrieden war er nach der Session im Kellerzimmer sofort weggedöst. Ein sadistisches Grinsen lag auf seinen Lippen. Der hatte er es mal so richtig besorgt, sie würde noch deutlicher als ohnehin wissen, wer der Herr im Hause war. Ingmar war kein Weichei wie die Sesselpupser in der Straße, sondern ein echter Kerl, der auch mal eine härtere Gangart einlegte. Lisa würde ihm noch dankbar sein, dass er kein Typ für Blümchensex war. Weiber standen auf diesen Kram genauso wie Kerle. Sie zierten sich nur, weil es sich angeblich so gehörte.
***
Hanna fühlte sich nicht wohl und hatte sich morgens krankgemeldet. Bestimmt hatte sie sich bei Kimberley angesteckt, die auch zu Hause geblieben war und eine Grippe ausbrütete. Kimberley schlief noch und Hanna machte sich einen Tee. Sie blickte nachdenklich aus dem Fenster und hing ihren Gedanken nach. Jetzt am Vormittag war die Veilchengasse schon wieder wie ausgestorben und bot ein unauffälliges und friedliches Bild. Was Elaine ihr über Lisa erzählt hatte, ging Hanna einfach nicht aus dem Kopf. Irgendwie tat sie ihr leid, obwohl sie bei dem kurzen Besuch neulich nicht den Eindruck gemacht hatte, als wäre sie unglücklich.
Lisa wirkte selbstbewusst, strahlend schön und vor allem stolz. Stolz auf ihre perfekte Familie, auf das Eigenheim und ihr gepflegtes Äußeres. Und solch eine Frau sollte von ihrem Mann verprügelt werden? Vielleicht lag das ja auch alles lange zurück. Elaine hatte selbst erzählt, dass sie den Kontakt zu Suhrhoffs längst verloren habe. Und möglicherweise war das alles ohnehin erstunken und erlogen und gehörte zum typischen Klatsch, den es in Kleinstädten häufig gab.
Trotzdem nagte an ihr ein ungutes Gefühl. Die Magen-Darm-Grippe, die irgendwie unglaubwürdig klang. Der misstrauische Gesichtsausdruck von Ingmar, wenn man ihn grüßte. Die unscheinbare Tochter Julia, immerhin schon fünfzehn Jahre alt, die irgendwas auf der Seele zu haben schien. Nein, Hanna wollte sich nicht heraushalten. Sie fand Lisa nach wie vor sympathisch und stellte sich vor, wie Elaine, Lisa und Hanna sich regelmäßig trafen und richtig anfreundeten. Das stellte Hanna sich einfach unglaublich schön vor!
Hanna machte sich dieses Mal nicht die Mühe sich besonders hübsch zu machen. In ihren Alltagsjeans, Sweatshirt und der blauen Steppjacke marschierte sie mit einer Pralinenschachtel hinüber zu Lisas Haustür und klingelte. Im Haus regte sich nichts. Hanna drückte erneut auf die Klingel, aber weder hörte sie Schritte, noch geschah sonst irgendetwas. Schade, Lisa schien nicht zu Hause zu sein. Nachdenklich ging Hanna zurück und legte sich aufs Sofa. Ihre Gedanken kreisten um ihre neuen Nachbarinnen. Elaine, deren Tochter zum Vater gezogen war – wie schrecklich das für eine Mutter sein musste! Vielleicht ließ sich Elaine deshalb so gehen. Hanna beneidete Elaine glühend um deren Figur. Genau wie Lisa. Die anderen beiden Frauen waren einfach wunderschön und Hanna fragte sich, ob sie selbst vielleicht auch deshalb so interessiert an ihnen war. Wollte sie etwas vom Glanz der beiden Grazien abhaben?
Im Haus gegenüber war von Glanz nicht viel zu spüren. Lisa hockte immer noch im Kellerzimmer und traute sich nicht heraus. Sie wusste nicht, wie spät es war und ob Ingmar bereits zur Arbeit aufgebrochen war. Seit wie vielen Stunden war sie hier schon Gefangene in den eigenen vier Wänden? Wenn sie jemand so sehen könnte, wäre es mit ihrem guten Ruf dahin. Niemand konnte sie noch für voll nehmen in diesem Aufzug – geschunden, geschändet und entblößt. Das erste Mal in ihrem Leben war sie richtig wütend auf ihren Mann. Was hatte er mit ihr gemacht, warum holte er sie nicht endlich raus aus dieser Hölle? Er wusste doch, dass sie nicht selbständig das Kellerzimmer verlassen durfte; auch wenn sie nicht festgeschnallt war.
Das Klingeln an der Haustür erschreckte Lisa zutiefst. Ob es bereits später Vormittag war und sie ganz allein zu Hause? Ob Ingmar es wirklich fertiggebracht hatte zur Arbeit zu fahren und sie zusammengeschlagen in ihrem Verließ zu lassen?
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