Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
City vorkommen! Kimberley kaufte sich zur Feier des Tages zwei Käse-Schinken-Stangen und eine große Cola. Sie setzte sich auf eine Bank und schaute zu den Gleisen. Manche Züge fuhren richtig weit in den Süden. Es wäre cool, jetzt mit ein paar Freunden am Strand zu sitzen, vielleicht an einem Lagerfeuer.
Erst einmal brauchte sie allerdings Freunde. Viele Punker liefen herum und bettelten um einen Euro. Sie fragten auch Kimberley nach Geld. Also konnte man nicht erkennen, dass sie eigentlich eine von ihnen war. Sie musste echt aufpassen, dass niemand ihre Tasche klaute und schon gar nicht die Geldbörse! Am liebsten hätte sie viel lässiger ausgesehen. Ihre Klamotten waren spießig und passten nicht zu ihrem neuen Leben auf der Straße. Schnell war sie mit dem Essen fertig. Die Zeit verging wirklich gar nicht, wenn man überhaupt nichts tun musste. Die Geschäfte hatten noch eine halbe Stunde auf und es wurde bereits dunkel.
Kimberley ging in ein Einkaufszentrum und schlurfte ziellos durch die Gänge. Als sie an der Drogerie vorbeiging, kam ihr eine Idee. Sie guckte nach links und rechts, niemand schien von ihr Notiz zu nehmen. Schnell griff sie nach einer Schere und hielt mit zwei Fingern ihre Jeans vom Körper entfernt. Dann schnitt sie sich zwei Löcher auf der einen Seite und eines auf der anderen Seite in die Hosenbeine. Zufrieden begutachtete sie ihr Werk am nächsten Spiegel. Schon besser. Aber ihre Haare gefielen ihr nicht. Sie sah aus wie ein Baby! Flott marschierte sie ein paar Regale weiter und fischte sich eine schwarze Haartönung heraus. Sie kostete nur zwölf Euro, aber Kimberley musste sparen. Allerdings – wenn man sie beim Klauen erwischte, würde man sie direkt zu ihren Eltern bringen. Unsicher ging sie mit der Farbe zur Kasse und bezahlte. Cool war das nicht. Sie würde sich darüber Gedanken machen müssen, ob sie häufiger mal was mitgehen lassen würde.
Als es Nacht wurde im Bahnhof, kam die Angst. Kimberley hatte sich eigentlich vorgestellt, dass sie sich irgendwo auf den Boden hockte und im Sitzen schlafen würde. Tagsüber könnte sie dann auf einem Rasen im Park richtig ausschlafen und müsste sich nicht so fürchten. Aber es war viel zu kalt auf dem Fußboden. Je später es wurde, desto mehr Leute starrten sie an. Penner rückten ihr auf die Pelle. Besoffene pöbelten herum und griffen nach ihrem Rucksack. Und manchmal liefen Polizisten herum. Dann verdrückte Kimberley sich immer sofort und versuchte, sich unsichtbar zu machen. Um Mitternacht zitterte sie vor Kälte und fragte sich, was schlimmer war: das Trampen mit dem unheimlichen Typen oder die einsame Nacht im Bahnhof. Sie kam zu dem Schluss, dass es im Auto noch viel gruseliger war. Hier war sie zumindest frei. Irgendwie musste sie allerdings die Nacht hinter sich bringen.
Wenn sie sich ganz alleine in einer Ecke befand, war die Panik vor Überfällen am größten. Doch sie konnte sich nicht einfach wildfremden Straßenkindern anschließen, die johlend durch die Gänge zogen. Oder konnte sie doch…? Was sie sich auch überlegte, sie kam einfach zu keinem brauchbaren Ergebnis. Sie fror und war hungrig, sehnte sich nach Mamas Nudelauflauf und ihrem kuscheligen Bett. Aber sie würde durchhalten und nicht schon am ersten Tag schlappmachen.
Weil ihr nichts anderes einfiel, löste sie am Automaten eine Tageskarte und setzte sich in eine S-Bahn. Sie würde einfach immer kreuz und quer durch Hamburg fahren und versuchen, kein leeres Abteil zu erwischen. Wenn sie Glück hatte, waren auch noch andere normale Leute unterwegs. Die Sache mit dem Haarefärben musste sie auf morgen vertagen. Bei Tageslicht kam ihr vielleicht eine bessere Idee, wo sie sich nachts aufhalten konnte.
Hundemüde war sie. Ängstlich setzte Kimberley sich auf einen Platz in Nähe der Tür und wich den Blicken der anderen Fahrgäste aus. Es waren fast nur junge Leute unterwegs. Kimberley hatte sonst nie mit Ausländern zu tun gehabt. Nun waren überall welche und redeten in fremden Sprachen, waren laut und lachten. Schlägertypen machten sich breit, musterten Kimberley kurz und starrten auf ihren Rucksack. Enge stieg ihr den Hals hoch, kalter Schweiß lief am Rücken herunter. Als eine ältere Frau, die ganz normal aussah, in die Bahn stieg, setzte sie sich schnell um in deren Nähe. Erst nach einer Stunde entspannte sie sich etwas und nickte mit dem Kopf auf ihrem Rucksack aufgelehnt ein.
Jemand ruckelte an ihrer Schulter.
„Hey, junges Frollein,
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