Das Kellerzimmer - Gesamtausgabe
Sie hieß ja auch nicht Julia. Erschöpft schlief Kimberley ein.
Eine Fahrradklingel weckte sie auf. Draußen war es bereits hell und verschlafen schaute sie sich um. Puh, es stank miefig und staubig. Kimberley blinzelte in Heinos Richtung, aber da war niemand. Sie war allein. Wie spät war es? Eine Armbanduhr trug Kimberley nie; sie guckte immer auf ihr Handy. Aber das Handy war nicht in ihrer Jackentasche. Auch nicht das Portmonee! Panisch richtete sie sich auf, tastete alles ab, durchsuchte fieberhaft den Rucksack. Nichts! Er hatte ihr alles Geld und das Handy geklaut! Oh Gott, das durfte nicht wahr sein! Sie fing an zu weinen, suchte immer wieder nach den Gegenständen, aber es war offensichtlich: Heino hatte mit einem Griff in die Seitentasche die wichtigsten Dinge erwischt.
Sie hielt die Visitenkarte des Autofahrers in der Hand. Anrufen konnte sie ihn jetzt sowieso nicht mehr. Kimberley hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Sie war so unglaublich dumm! Vor lauter Wut kamen kaum richtige Tränen aus ihr heraus, nur Geschimpfe und verzweifeltes Stöhnen. Am liebsten wäre sie nach Hause gelaufen, aber erstens hatte sie auch ihren Stolz und zweitens würde sie dann noch größeren Ärger bekommen. Kimberley musste auf Toilette. Sie wusste überhaupt nicht, wie lange sie nicht mehr auf Klo gewesen war. Aber wo sollte sie hinmachen? Ach, jetzt war sowieso schon alles egal. Sie zog sich die Hose herunter und pinkelte in die Hütte. Dann rannte sie auf die Straße, weit weg von diesem blöden Ort.
Nachdem sie weit genug fort war, blieb sie schwer atmend stehen. Die Geschäfte waren noch geschlossen, also war es bestimmt noch sehr früh am Morgen. Ein Kiosk öffnete gerade und der Verkäufer wühlte an einem Zeitschriftenständer herum. Kimberley sah viele Zigarettenstangen, die unbewacht auf der Erde lagen. Wenn sie jetzt zugreifen würde… Sie überlegte nicht lange, nahm sich eine Stange, hielt sie unter ihre Jacke und ging unauffällig weiter. Der Kiosk-Mann hatte nichts mitbekommen. Ihr Herz raste, aber als sie um eine Ecke kam, lachte sie erleichtert auf. Das war ja einfach gewesen! Zwar konnte sie mit Zigaretten nichts anfangen, aber immerhin hatte sie nun zum ersten Mal geklaut. Damit es nicht zu auffällig war, löste sie das Zellophanpapier und steckte die Schachteln einzeln ganz tief in ihren Rucksack. Sie hatte eine Idee. Vielleicht würde sie sich doch den Straßenkindern vom Bahnhof anschließen. Aber dieses Mal würde sie direkt zum Hauptbahnhof fahren. Kimberley nickte zufrieden, trank einen Schluck Wasser und aß ihren Apfel. Die würden sich alle noch wundern!
***
Eine Krankenschwester rief ihren Namen. Lisa riss panisch die Augen auf.
„Frau Suhrhoff, hören Sie mich? Frau Suhrhoff, wachen Sie auf!“
Sie lag in ihrem Anstaltsbett und hatte die Hände ineinander verkrampft. Ihre Beine konnte sie kaum bewegen, so hatte sie unter der Decke um ihr Leben gekämpft. Schon wieder hatte sie überlebt. Lisa konnte es kaum glauben. Wie lange sie wohl das Bewusstsein verloren hatte?
„Wie lange war ich weg?“
„Wieso weg? Sie sind doch hier. Geht es Ihnen nicht gut, Frau Suhrhoff? Ich habe sie kaum wach bekommen.“ Die moppelige Krankenschwester schien besorgt zu sein. Mal ganz was Neues. Den meisten Angestellten hier war es total egal, wie es Lisa ging.
„Jemand hat versucht mich zu ersticken. Unter dieser Decke! Ich dachte, ich muss sterben. Wer war hier im Raum?“
Die Dicke runzelte die Stirn, drehte sich um und sagte im Weggehen:
„Ich hol einen Arzt. Wir sind gleich wieder da. Bleiben Sie lieber liegen, nicht, dass Ihnen noch schwindelig wird.“
Kaum, dass die Tür geschlossen war, sprang Lisa aus dem Bett. Sie war zittrig und alles drehte sich, aber sie wollte keine Sekunde länger hier bleiben. Irgendjemand trachtete ihr nach dem Leben. Noch so einen Schreck würde sie nicht verkraften. Schnell stieg sie in die Klamotten, in denen sie hier angekommen war. Auf hohe Schuhe verzichtete sie, sondern zog die Turnschuhe vom Sportprogramm an. Damit würde sie besser laufen können, auch wenn es schrecklich aussah. Lisa konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr das eigene Aussehen jemals so egal gewesen war wie jetzt. Kurz hielt sie inne – sie konnte unmöglich all ihre Klamotten mitschleppen! Also schmiss sie Papiere, Geld und Tampons in ihre Handtasche und riss das Fenster auf.
Ein Gutes hatte der Tod des Spanners Fredi Kummer: Lisa wusste bestens über den Fluchtweg aus dem
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