Das Keltenkreuz
Sie keinen Wagen.«
»Das kann sich ändern.«
»Glaube ich nicht. Wir haben mitten in der Woche. Außerdem war der Sommer sehr bescheiden, na ja, man kann nicht alles haben.« Er paffte wieder einige Wolken, die der Wind sofort zerriß, und schaute mich aus den kleinen, glänzenden Augen an, die in seinem roten Gesicht wie schimmerndes Glas wirkten. »Was haben Sie denn dort zu tun, Mister?«
»Ich will mich umschauen.«
»Viel gibt’s dort nicht zu sehen. Für meinen Geschmack.« Er strich mit der Hand durch die Luft. »Da ist alles flach. Sie werden auch keinen Baum dort finden. Jedenfalls keinen normal hohen. Nur die alten Mauern und das Kloster, das sie wiederaufgebaut haben.«
»Fischer leben dort auch?«
»Klar. Von ihnen kriege ich meine Ware. Darüber bin ich heilfroh. Ein paar Häuser und eine Straße werden Sie dort auch finden. Geschäftsleute ebenfalls, die sich an manchen Tagen nicht zu beklagen brauchen, denn oft kommen gerade Jugendliche auf die Insel, um dort was weiß ich zu machen, aber ansonsten möchte ich dort nicht tot über dem Zaun hängen.«
»Sie haben bei Ihrer Aufzählung noch etwas vergessen«, sagte ich.
»Ach. Was denn?«
»Das große Kreuz.«
»Ah ja, das St. Martin’s Cross.«
»Genau das.«
»Interessiert es Sie?«
»Ich kann es nicht leugnen.«
»Privat oder beruflich?«
Mein Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Beides, würde ich sagen. Ich kann mich als einen Kreuzforscher bezeichnen. Aber nicht nur hier, sondern überall auf der Welt habe ich mir schon Kreuze angeschaut, sie fotografiert, katalogisiert…«
»Warum das denn?« unterbrach er mich.
»Ganz einfach. Ich möchte Verbindungen zwischen den Kulturen auf dieser Welt herstellen. Und man kann oft an Details erkennen, wie die Entwicklung damals fortgeschritten ist. Denn jedes Volk hat etwas hinterlassen, das für den Fachmann wie ein offenes Buch ist. Verstehen Sie nun, was ich meine?«
»Ja, irgendwo schon.«
Ein Wagen näherte sich der Fähre. Ich drehte mich nach rechts, um ihn sehen zu können. Es war ein schwarzer Jeep Cherokee. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte ich hinter der Scheibe den Umriß einer Frau gesehen.
Natürlich dachte ich sofort an Vivian Cameron. Es wurde allmählich Zeit; ich fragte nach der Rechnung. Der Wirt hatte die Summe im Kopf und nannte sie mir. Ich leerte die Tasse, bezahlte und sagte: »Es war wirklich gut, Mister.«
»Das sagen sie alle. Und jetzt wollen Sie rüber?«
»Klar.«
»Kommen Sie heute noch zurück?«
»Das weiß ich nicht.« Ich klopfte gegen meine Reisetasche, die neben mir stand. »Sicherheitshalber habe ich mich eingedeckt. Sogar mit Regenkleidung.«
»Das ist gut.« Er grinste verschmitzt. »Ich habe gesehen, daß da jemand gekommen ist.«
»Ich weiß.«
»Für Sie, Mister?«
»Möglich«, gab ich zurück und lächelte dabei.
Der Mann nickte dorthin, wo die Fähre stand. »Diese Frau kenne ich. Wenn sie das ist. Ich meine, mir ist der Wagen bekannt. Das ist eine ganz forsche Person.«
»Heißt das, Sie haben schon mit ihr zu tun gehabt?«
»Nein, nein, nicht näher.« Er schüttelte den Kopf. »Aber der Name hat in unserer Gegend Gewicht. Sie ist eine Cameron, und dieser Clan ist verdammt einflußreich.«
»Dann ist es Vivian«, sagte ich.
»Also doch.«
»Ja, sie wollte mich bei meiner Arbeit ein wenig unterstützen.« Ich stand auf und nahm die Tasche hoch. »Vielen Dank noch mal, Mister. Es war gut.«
Er lächelte mir zu, nickte und winkte mir nach, als ich auf die Fähre zuschritt.
Von Vivian Cameron sah ich nichts. Sie hatte ihren Wagen in das Maul hineingefahren. Ich blieb vor der Rampe stehen und schaute auf das schwarze Heck des Jeeps. Um an Deck zu gelangen, konnte sie auch einen anderen Weg nehmen. Ich war sicher, daß ich sie dort treffen würde. Mein Ticket hatte ich schon gelöst. Auf der Fähre, die leicht auf den Wellen schaukelte, packte mich der Wind. Dafür entschädigte mich der Ausblick nach Norden hin, wo ich die Umrisse anderer Inseln sah.
Sie waren hügelig, aber im Dunst kaum zu erkennen.
Einige Schiffe lagen im Hafen, rechts und links von der Fähre. Der farbige Anstrich der Boote, darunter waren viele Segelboote, heiterte den düsteren Tag etwas auf.
In zehn Minuten würden wir ablegen. Man konnte sich an Deck aufhalten, denn dort gab es Bänke, auf denen jedoch niemand saß.
Durch die Scheiben des Aufbaus schaute ich in das Innere, wo Tische und Bänke standen. Am Verkaufsstand konnten sich die
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