Das Keltenkreuz
die sechs Männer so einfach nicht finden werden.«
»Vielleicht ihre Gräber.«
»Kann sein. Nur sollten wir uns von dem Gedanken befreien, daß es normale Gräber sind.«
»Stimmt auch wieder, denn auf der Insel gibt es keinen Friedhof.«
»Und wo werden die Mönche bestattet?«
»Auf dem ältesten christlichen Friedhof Schottlands, den gibt es nämlich auf Iona. Selbst Duncan aus Shakespeares ›Macbeth‹ soll hier bestattet sein. Wir werden uns einiges anschauen können. Auch die Kathedrale der Hebriden, die 1910 wiederaufgebaut wurde und nun eine Stätte der Begegnung ist.«
»Wie das Kloster.«
»Auch.«
»Und das Keltenkreuz.«
Sie lächelte. »Davon kommen Sie wohl nicht los – oder?«
»Nein, das komme ich auch nicht. Ich liebe Kreuze, ich trage selbst eines bei mir, aber manchen kann man nicht trauen. Für mich sind die Männer verschwunden, weil sie unmittelbar mit dem Kreuz zu tun hatten, und in den Augen des Curly Brown habe ich selbst die Veränderung gesehen. Kreuze, die auf dem Kopf standen.«
»Das deutet auf den Teufel hin«, flüsterte Vivian.
»Rechnen müssen wir mit allem.«
»Und auch damit, daß wir gleich anlegen werden«, sagte sie und deutete nach draußen, wo wir bereits die Einfahrt des kleinen Hafens sahen, in dem auch die Boote der Fischer lagen. Dahinter zeichneten sich die Häuser des Ortes ab, der nur ›The Village‹ genannt wurde.
Sie zeigten keine bunten Fassaden, sondern waren grau wie der Himmel. Ein ebenes Eiland mit wenigen Hügeln und einem Wald. Als wir ins Freie traten, konnten wir fast die gesamte Insel überblicken, und wir sahen auch die Kirche mit dem viereckigen Turm, die bereits in romanischer Zeit errichtet worden war.
»Gefällt es Ihnen hier, John?«
Ich hob die Schultern und drehte mein Gesicht vom Wind weg. Die Schreie der Möwen tobten durch meine Ohren. »Es ist nicht schlecht, aber für längere Zeit möchte ich nicht auf der Insel bleiben.«
»Da können wir uns die Hand reichen.«
Die Fähre lief rückwärts in den Hafen ein. Als das Rucken des Andockens vorbei war, fragte Vivian mich: »Wohin möchten Sie zuerst, John?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Dann gehen wir zum Kreuz.«
»Genau.«
»Mal sehen«, sagte sie leise und schaute so intensiv auf die ausgestreckten Hände, daß ich mich darüber wunderte und nach dem Grund fragte.
»Sehen Sie die Gänsehaut?«
»Ja.«
»Das ist kein gutes Zeichen«, flüsterte Vivian. Sie lächelte dabei, allerdings sehr gequält…
Wir hatten die Insel betreten. Ich hatte Vivians Reisetasche nehmen wollen, was sie nicht zuließ, und so trugen wir beiden unsere Taschen und spürten den frischen Wind, der unsere Kleidung aufblähte und in den Haaren wühlte.
Vor uns lag ›The Village‹. Wirklich nur eine Ansammlung von Häusern, durch Reklamen und kleine Fahnen bunt gemacht, zur Freude der Touristen.
An den fahrbaren Ständern draußen hingen Mützen, T-Shirts mit den Umrissen der Insel als Aufdruck, aber auch wetterfeste Kleidung neben mit Ansichtskarten gefüllten Ständern, Süßigkeiten und so weiter. Die beiden Lastwagen hatte die Fähre ebenfalls verlassen und wurden bereits ausgeladen.
»Brauchen Sie noch was?« fragte Vivian.
»Nicht daß ich wüßte.«
»Dann gehen wir zum Kreuz!«
Sie war energisch, und so lief sie auch. Mit forschen Schritten, das Gesicht gegen den Wind gedrückt wie jemand, der dieses Wetter so richtig genießt. Der Haarzopf wurde ebenfalls erwischt und schwang wie eine Peitsche in ihrem Nacken hin und her.
Es gab einen Weg. Nein, nicht die Straße, die ›The Street‹ genannt wurde, dieser Weg war anders und erinnerte mich entfernt an eine römische Heerstraße, wie ich sie aus Köln kannte. Man hatte den Weg mit großen Steinen befestigt. Er führte zum Kloster und auch zur Kirche hin, wie mir Vivian gesagt hatte. Sie war schweigsamer geworden und schien ihren Gedanken nachzuhängen. Überhaupt spürte derjenige, der die Insel betrat, einen beruhigenden Einfluß. Da war die Hektik der normalen Welt verschwunden, und er konnte seine Seele einfach baumeln lassen.
Ich war innerlich nicht so ruhig und hielt nach dem Keltenkreuz Ausschau. Noch hatte ich es nicht gesehen. Wie ich allerdings von Vivian wußte, stand es vor der wiederaufgebauten Kirche mit dem Namen ›Kathedrale der Hebriden‹.
Und die war wegen ihres Turms allgegenwärtig. Von jedem Ort der Insel mußte sie zu sehen sein, auch wir schauten immer wieder hin, um dann nach rechts
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