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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Risiko dar. Das müsse ich wissen, sagt Alberto, um dann plötzlich und überraschend das Thema zu wechseln: Ob ich bereit sei, mit der alten Signora Volpi, der Mutter Matteo Volpis, zu sprechen. Erst neulich sei sie in seiner Buchhandlung gewesen und habe sich nach mir erkundigt. Sie sei neugierig auf mich, sie wolle mich kennenlernen, sonst nichts. Eine Befragung im Rahmen meiner Forschungen komme aber nicht in Frage. Ich bin einverstanden, und es fällt mir nicht auf, dass Alberto mich (wie schon einmal, als er mich auf das Haus unseres Nobelpreisträgers aufmerksam machte) auf den Weg schickt. Er gibt mir die Adresse, zeigt mir den Weg und lässt mich gehen. (Keinen Moment bin ich skeptisch oder ahne ich etwas, ich ziehe los, ohne mir die geringsten Gedanken zu machen.)

    Das Haus der Signora liegt auf einem Hügel neben dem alten Kastell, es steht dort allein, mitten auf der Höhe, und es erweckt, wenn man sich ihm von unten her nähert, den Eindruck eines herrschaftlichen Besitzes, der von einer hohen, aber unauffälligen Mauer umgeben ist. Es gibt sogar ein richtiges, ebenso herrschaftliches Tor, das sich nach einer kurzen Unterhaltung durch eine Sprechanlage auf einen Knopfdruck hin öffnet. Man geht einen breiten Kiesweg zum Haus hinauf, und man ist erstaunt, wie groß dieses Grundstück ist. Es besteht aus lauter Olivenhainen und Weinbergen, die sich über alle
Seiten des Hügels erstrecken. Das Land ist gut bewirtschaftet, die Bäume sind beschnitten, oben im Haus könnte auch ein alter Landadliger von jenem Schlage leben, wie ihn Tomasi di Lampedusa in seinem Roman beschrieb. (Aber ich bringe diesen Eindruck nicht in Verbindung zu anderen, vorigen Eindrücken und ahne nichts und betrete das Haus auf dem Hügel dann wie ein naiver Tor.)

    Als ich im Haus ankomme, werde ich zunächst von einer Frau mittleren Alters begrüßt, die sich als Haushälterin der Signora bezeichnet. Ich warte einen Moment in der Eingangshalle und bemerke, dass das Haus weitaus weniger groß ist, als es von unten, von der Stadt her, erscheint. Im Erdgeschoss gibt es einen mittleren Raum und zwei rechts und links angrenzende Räume, und eine Treppe führt hinauf in den ersten Stock, wo sich anscheinend erneut nur drei Räume derselben Größe befinden. In der Eingangshalle steht ein Steinway , er ist geöffnet und schaut einen so von der Seite her an, als wollte er einem zuflüstern: Komm, Freundchen, zeig, was Du kannst! (Ich habe Pianisten immer sehr bewundert, denn ich selbst könnte niemals Klavierspielen. Unmusikalisch bin ich wohl nicht, aber ich spiele kein Instrument.)

    Ich stehe neben dem Steinway, als Signora Volpi erscheint. Ich hatte sie mir als eine alte, zerbrechliche Frau vorgestellt, die ab und zu noch ein paar Spaziergänge durch Mandlica in schweren, schwarzen Kleidern oder weiten Mänteln unternimmt. Jetzt aber begegne ich einer
aufrechten, weißhaarigen Frau in schwarzen Hosen mit grauer Bluse, sie trägt keinerlei Schmuck, nur in ihren kunstvoll hochgesteckten Haaren befindet sich eine silberne Spange. Sie kommt rasch auf mich zu, gibt mir die Hand, begrüßt mich und sagt:
    – Spielen Sie etwa Klavier? Nein, das kann nicht sein, Sie spielen doch kein Klavier!

    Selten habe ich einen merkwürdigeren Auftakt eines Gespräches erlebt. Sie redet mit mir, als kennte sie mich bereits oder als hätte sie von irgendwem bestimmte Informationen erhalten. Dieser Auftakt überrascht mich so, dass ich durcheinandergerate und ebenso seltsam antworte:
    – Und Sie?! Sie spielen doch auch kein Klavier. Warum steht dann aber der Steinway hier, können Sie mir das verraten?
    – Sie könnten es längst wissen, Signor Merz.
    – Ich könnte es wissen, wie kommen Sie darauf?
    – Sie wissen doch, dass ich hier nicht immer allein bin. Mein Sohn kommt mich regelmäßig besuchen, Sie haben doch bereits mehrmals mit ihm gesprochen. Matteo, das kluge Kind – Matteo spielt fantastisch Klavier.

    Sie lacht so laut, als wäre sie die Patronin eines Theaters und als wären wir alle ihre Kinder, die zu ihrem Vergnügen ein Stück mit dem Titel Sizilianisches Leben aufführen. Sie deutet an, dass wir nach links, in das angrenzende Zimmer, gehen sollen, und als wir das tun, kommen wir in einen mit alten Möbeln sehr geschmackvoll eingerichteten Raum (ich mag dieses Wort nicht, aber es passt nun einmal genau zu dieser Möblierung, sie ist geschmackvoll, und das meint: Es zeigt sich kein individueller Geschmack, sondern der Raum wurde

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