Das Kind, Das Nicht Fragte
eingegeben und habe recherchiert, was Ethnologie
überhaupt ist. Einen Moment hatte ich sogar etwas Angst vor Dir. Du warst mir unheimlich.
– Das ist nicht Dein Ernst.
– Aber ja, es ist mein Ernst. Anfangs hast Du kaum ein paar Worte gesagt und so durchdringend geschaut. Ich habe gedacht, Ethnologie ist eine Geheimwissenschaft, und der Mann ist eine Art Magier, der Geheimnisse im Nu erkennt.
– Und später? Wie war es später?
– Später habe ich mir Zeit gelassen für Dich. Übereile nichts, habe ich mir gedacht, dieser Mann bleibt Monate oder vielleicht Jahre. Er könnte einmal so etwas wie Dein Dauerliebhaber werden.
– Maria!
– Du hast mich gefragt, und ich antworte ehrlich. Du weißt, ich rede nicht um die Sachen herum.
– Aber dann warst Du zu spät. Paula ist Dir zuvorgekommen.
– Ja, das ist sie, aber das ist auch etwas anderes. Ich schätze Dich sehr, Paula aber liebt Dich.
– Und das respektierst Du?
– Unbedingt, ich mache in meinem Leben nicht noch einmal einen derart schlimmen Fehler wie im Falle Lucios.
– Aber was wird jetzt aus Lucio und Dir? Werdet Ihr Euch trennen?
– Ich weiß es nicht. Und Ihr beide, Paula und Du? Was werdet Ihr tun?
– Ach, Maria, ich weiß es auch nicht, im Augenblick weiß ich gar nichts.
Wir lachen beide, und ich stehe auf und gebe ihr einen Kuss. Um ein Haar hätte ich also vor einiger Zeit eine
neue Freundin erhalten. Es wäre gewesen wie früher: ein entspannter Spaziergang, leicht, munter, vital. Ich hätte mich wohlgefühlt bei dieser Sache, und – wer weiß? –vielleicht hätten wir sogar Kinder bekommen und Maria hätte sich von Lucio getrennt. ( Kinder? Ist das Dein Ernst? Du hast in Deinem ganzen bisherigen Leben noch keine Minute an Kinder gedacht! Nein, habe ich nicht, das stimmt. Zu einer Beziehung mit Maria hätten aber Kinder gehört, ganz unbedingt. Und wieso? Mein Gott, ich weiß es nicht ganz genau, ich habe nur so eine Ahnung. )
4
A LBERTO IST ein sehr guter Freund geworden, instinktiv habe ich in ihm genau jenen Menschen gefunden, mit dem ich mich über alle anstehenden Probleme unterhalten kann. Als wir an einem Nachmittag wieder in seiner Buchhandlung sitzen, sage ich ihm, dass ich mit Paula zusammenlebe. Er ist nicht erstaunt, er lacht vielmehr und beglückwünscht mich zu dieser Beziehung. Ich weiß, dass er Stillschweigen bewahren wird, aber ich bekomme von ihm – trotz all seiner Sympathien für Paula – zu hören, dass er selbst keineswegs sicher ist, ob unsere Beziehung lange Bestand haben wird. (Insgeheim vermute ich übrigens, dass auch Maria sich in dieser Hinsicht nicht sicher ist, ich kann aber nicht genau sagen, warum ich das glaube. Sie fragt mich häufig nach Paula und nach bestimmten Details, und ich antworte
wahrscheinlich zu ausweichend und naiv. Beide, Maria und Alberto, haben uns aber noch nie zusammen gesehen, und ich nehme an, dass dieser Anblick vom ersten Moment an jede Skepsis zerstreuen würde. Und wieso? Paula und ich – wir sind uns in vielem sehr ähnlich, jeder halbwegs genaue Beobachter muss das bemerken. Ja, es gibt eine starke, auch äußerliche Ähnlichkeit von so manchen Liebenden. Eine ähnliche Größe, ein ähnlicher Gang, eine ähnliche Art, über etwas zu sprechen. Solche Ähnlichkeit ist nach meinen Beobachtungen ein untrügliches Zeichen dafür, dass eine Liebe lange Bestand haben wird.)
Ich bitte Alberto um einen Rat und frage ihn, ob Paula und ich unsere Beziehung weiter geheim halten sollen. Er zieht die Schultern einen Moment hoch, er ist sich unschlüssig, und als ich nachfrage, warum er sich unschlüssig ist, sagt er, dass mir eine eventuelle spätere Trennung von Paula, wenn sie publik werden würde, bei den Mandlicanern schaden und meine zukünftige Arbeit behindern würde. Die Mandlicaner, behauptet er weiter, trauen Paaren, die sich zusammentun und dann wieder trennen, nicht mehr. Sie begegnen diesen Getrennten weiter mit Freundlichkeit und Respekt, aber sie gehen ihnen, wo immer es geht, aus dem Wege. Wer einen anderen Menschen einmal derart enttäuscht hat, wird immer wieder andere Menschen enttäuschen – das glauben sie, und deshalb halten sie sich von solchen Menschen fern. Im schlimmsten Fall würden sie meine Forschungsarbeit blockieren oder sich ganz entziehen, ja, es könne sogar passieren, dass sie mit einer Veröffentlichung meiner
Forschungsergebnisse nicht mehr einverstanden seien.
Die Beziehung mit Paula publik zu machen, stelle daher ein erhebliches
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