Das Kind, Das Nicht Fragte
eingerichtet, um einen bestimmten Geschmack zu demonstrieren). Wir setzen uns an einen kleinen Tisch und schauen durch die hohen Flügeltüren direkt nach draußen, auf eine Terrasse und auf das umgebende Land.
– Von unten aus hat das Haus Stil, finden Sie nicht auch? fragt Signora Volpi, wartet aber nicht auf meine Antwort, sondern sagt weiter: Ist man aber erst einmal hier oben, fällt es leicht ab. Es wirkt plötzlich kleiner, es schnurrt zusammen wie ein aufgeblasener Luftballon, dem dann die Luft ausgeht. Macht nichts! sage ich immer. Das Haus hat nämlich genau die richtige Größe für eine ältere Frau, die allein lebt. Was soll ich mit mehr Zimmern, das wäre doch Unsinn! Viel wichtiger ist das umgebende Land, und dieser Grund und Boden ist wirklich beachtlich. Zehn Hektar, mein Lieber! Das hätten Sie nicht vermutet, nicht wahr? Ein Mensch braucht um sich gehörig viel Raum, als Abstand zu seinesgleichen sowie als Luft zum Denken und Atmen! Weite Natur in direkter Umgebung eines Hauses ist das Wichtigste überhaupt, sage ich oft. Die Römer haben davon sehr viel verstanden, wie die Römer überhaupt die ersten Experten des profanen Raums waren. Die Griechen dagegen ahnten von Raumwirkungen höchstens beim Bau ihrer Tempel, aber sie dachten insgesamt zu viel an die öden, sprachlosen Götter und an all die schwer und traurig machenden religiösen Kulte für Apoll, Athene und Zeus. Die Römer dagegen haben es mit Göttern und Religion nie übertrieben, sie fanden die rechte Leichtigkeit in diesen Dingen, fiel Ihnen das auch schon einmal auf? Ich jedenfalls habe das schon sehr früh bemerkt und bin den Römern und nicht den Griechen gefolgt. Ein kleines Gut auf der
Höhe eines Hügels mit viel Land drumherum – das ist es, das ist mein Tusculum.
Oh, ist sie brillant! Sie redet und redet und wartet keinen Moment darauf, dass ich etwas sage. Sie spricht von den Römern, den Arabern und den Normannen, sie entwirft die halbe Geschichte Siziliens wie ganz nebenbei, und sie scheint alles gelesen zu haben, was diese Geschichte erhellt. Vor allem aber hat sie die sizilianische Literatur selber gelesen, sogar die arabischen Poeten des Mittelalters, die angeblich herrliche Gedichte auf die schönen Gärten Siziliens geschrieben hätten, zitiert sie, und es hört sich an, als wären diese (mir unbekannten) Poeten ihre direkten Vorfahren gewesen.
Während dieser Suada, die mich hellwach hält und die ich am liebsten sofort aufzeichnen würde, wird etwas Tee mit Gebäck serviert. Diese Aufgabe übernimmt Signoras Haushälterin, die mehrfach das Zimmer betritt, kein Wort sagt und anscheinend große Erfahrung darin besitzt, wie Signora sich alles wünscht. Die aber redet weiter, auch als wir bereits Tee trinken, sie verliert keine Silbe über das Getränk, und ich trinke den besten Tee, den ich seit langem getrunken habe.
Ich höre zu, es macht mir nichts aus, nicht zu Wort zu kommen (im Gegenteil, es ist eine Erlösung), und ich beginne, die Themen der Signora mit einigen Menschen aus Mandlica, die ich inzwischen kennengelernt habe, in Verbindung zu bringen. Es ist klar, dass sie mit Alberto befreundet ist, er füttert sie mit Lektüre, und sie
füttert ihn wiederum mit ihren frischen und klugen Leseeindrücken. Klar ist auch, dass sie aus Matteo, ihrem einzigen Sohn, ein Kind des großen Wissens und Lernens gemacht hat. (Ich vermute, sie hat sich einen tatkräftigeren, entschiedeneren Sohn gewünscht, Matteo ist ihr vielleicht etwas zu besonnen, langsam und umständlich.) Und während ich weiter nachdenke, komme ich plötzlich auch wie von selbst auf Adriana Bonni. Könnte es nicht sein, dass Adrianas Vorliebe für die alte griechische und lateinische Literatur durch die Signora angeregt wurde? Und weiter (und nun vermute ich bereits nichts mehr, sondern weiß es ganz sicher): Hat die Signora nicht auch Paula mit der sizilianischen Literatur bekannt gemacht und ihre große Liebe zu dieser Literatur geweckt?
Plötzlich bricht sie ihre Suada ab, schaut mich an und fragt:
– Mein lieber Signor Merz, warum sagen Sie eigentlich nichts?
– Oh, Signora, ich wollte nicht unhöflich sein, und ich höre Ihnen sehr gerne zu. Vieles, von dem, was Sie sagen, ist neu für mich.
– Keine Schmeicheleien bitte, das ersparen wir uns. Nur noch eine Letzte: Ich habe auch sehr viel Gutes von Ihnen gehört. Sie bringen Mandlica auf Trab und heben das Selbstwertgefühl seiner Bewohner. Das ist gut. Auf Ihre
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