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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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aber wir halten nicht an, sondern fahren weiter, mindestens anderthalb Stunden sind wir so unterwegs. Manchmal trinken wir einen Kaffee, essen etwas Gebäck und halten immer wieder an einigen besonders schönen Küstenpartien. Das Meer ist ganz anders als in Sizilien, es ist vollkommen glatt und ruhig und wie ein stiller Teich. Am Horizont zeichnen sich die Küstenlinien des griechischen Festlands ab, so dass man nicht ins Offene, Weite, sondern auf lauter kahle, lang gestreckte Bergrücken schaut.
    – Das Festland erscheint so nah, sage ich, man könnte sogar hinüberschwimmen.
    – Ja, antwortet Paula, von überall hat man es vor Augen, komm, lass uns hinauf in die Berge fahren, dann überschauen wir alles noch besser.

    Von der Küste aus führen immer wieder schmale Straßen hinauf in die Berge, sie winden sich stark, und man fährt sie sehr langsam. Irgendwann geht der Asphalt über in hellen Zement, und man muss noch langsamer fahren, und es ist, als erreichte man den höchsten Punkt gerade noch mit letzter Kraft. Von einem solchen Punkt aus sehen wir beinahe über die gesamte Insel. Auf einigen Bergrücken liegen kleine, geduckte Dörfer, wie hingestreute, einsame Nester, während es an der Küste keine größeren Orte gibt. Vor ihrer hellen, aufschimmernden Linie liegen viele Segelschiffe und prächtige, weiße Jachten, und einige kleinere Boote sprinten von einem Küstenpunkt zum nächsten und schnuppern die Küste nach Badegelegenheiten ab.
    – Wir sollten auch ein solches Boot mieten, sage ich.
    – Unbedingt, antwortet Paula, in Griechenland wird man zum Seefahrer. Wir werden ganz Korfu umkreisen und die langsamen Segler hinter uns lassen.

    Wir fahren dann wieder ans Meer hinunter, wo die kleinen Tavernen gerade öffnen. Sie sehen aus wie Motive auf großzügigen Gemälden von Schwindlern, unter den Sonnendächern stehen winzige Holzstühle mit Sitzflächen aus hellem Geflecht an Tischen mit karierten Decken, und neben rasch hingezimmerten Holzböden, die
manchmal sogar bis ins Wasser reichen, stehen blaue Liegestühle unter einer griechischen Flagge. Wir frühstücken in einer dieser Tavernen, und ich bekomme mit, wie elegant und mühelos Paula die fremde Sprache beherrscht. Der Kellner unterhält sich sogar länger mit ihr, und dann liegt die Karte Korfus auf unserem Tisch, und wir erhalten Tipps für unsere Fahrt, die Paula gleich in die Karte notiert. Gutes Weißbrot, frischer korfiotischer Honig, eine Marmelade aus bitteren, kleinen Orangen, eine Schale mit Joghurt und geriebenen Mandeln und viel Kaffee – das ist unser Frühstück.

    Trotz des frühen Aufstehens sind wir nicht müde, sondern fahren weiter bis zur Südspitze der Insel, dort gibt es eine Stadt mit einem schmalen, schnurgeraden Fluss, der direkt ins Meer führt. Entlang des Flusses, der einige Meter unter dem Straßenniveau in der Tiefe verläuft, liegen Hausboote, und es gibt sehr unauffällige Hotels, die beinahe alle das englische Wort River im Namen haben. River Boat South heißt eines von ihnen, es ist ein Tipp des Kellners, mit dem Paula gesprochen hat. Es liegt etwa hundert Meter von dem kleinen Flusslauf entfernt, ist kaum zwanzig Meter breit und hat einen schönen Holzvorbau, unter dem die Gäste frühstücken können. Wir fahren hin und fragen nach einem Zimmer und bekommen sofort ein besonders schönes im ersten Stock, mit einer kleinen Terrasse, von der aus man sowohl auf den Fluss wie auch seitwärts aufs Meer schauen kann.
    – Der Besitzer sagt, wir seien die einzigen Gäste , sagt Paula, und etwa zweihundert Meter immer den Fluss entlang hört das Land auf, und es gibt dort ein sehr schönes Strandstück.

    Wir holen die Badesachen aus unserem Gepäck und fahren gleich weiter, und dann stehen wir allein an einem lang gezogenen, leeren Strandstück, und die griechische Festlandküste ist noch näher gerückt und liegt direkt gegenüber und leuchtet jetzt trotzig und abweisend.
    – Korfu ist bloß eine erste Station, sagt Paula, bald werden wir uns auch aufs griechische Festland trauen.
    – Ja, sage ich, wenn man dieses karge Land sieht, denkt man wirklich, man müsse sich trauen. Es wirkt, als sähe man tagelang keinen Menschen und liefe immerzu allein zwischen lauter Schaf-und Ziegenherden herum, wie ein Verdammter. Plötzlich bekommt einen Pallas Athene zu sehen, und dann rührt es ihr Herz, wie man da so einsam herumläuft, und sie sendet ein abenteuerlich gutes Getränk, direkt vom Himmel, und man nimmt einen

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