Das Kind, Das Nicht Fragte
überrascht und aus der Fassung bringt. Ihr seid große Schreihälse, Ihr habt mich die halbe Kindheit lang niedergeschrien.
Seltsam, er sagt nichts, es ist, als sei das Gespräch unterbrochen.
– Martin, bist Du noch da?
Es ist weiter still, ich höre ihn nicht, und ich schaue auf das Display. Es zeigt an, dass das Gespräch weiterläuft.
– Martin, hörst Du mich?
– Ja, Benjamin, ich höre Dich. Und weißt Du was? Ich weiß genau, was Du mir gleich sagen wirst.
– Du weißt was?!
– Du wirst heiraten, stimmt’s?
– Wie bitte?! Wie kommst Du denn darauf?
– Als Du nach Sizilien gefahren bist, habe ich zu den anderen gesagt: Jetzt verlieren wir ihn für immer, er wird in Sizilien heiraten.
– Stimmt das? Ist das Dein Ernst?
– Ja, das stimmt, wir haben gewettet. Und nun habe ich die Wette gewonnen.
– Ja, hast Du. Ich habe mich heute verlobt.
Es ist wieder still, und ich weiß, dass die Nachricht jetzt mit starker Verzögerung in ihm ankommt. Er sagt nichts mehr, er hat, obwohl er es ja angeblich gewusst hat, an dieser Nachricht zu kauen. Ich lasse ihm Zeit, ich sage auch nichts, dann sagt er:
– Benjamin, Kleiner! Das ist die schönste Nachricht, die Du mir hättest mitteilen können. Ich habe viele Jahre gehofft, dass so etwas geschieht, und ich habe Dir, verdammt noch mal, immer die Daumen gedrückt. Kleiner?! Hörst Du mich? Was denkst Du, welche Freude Du heute unseren lieben Eltern gemacht hast! Die tanzen jetzt im obersten Stockwerk des Himmels, die tanzen ununterbrochen … – und ich, verdammt noch mal, habe jetzt Tränen in den Augen, mein Kleiner. Ja, es ist so, Benjamin, ich stehe in meinem Zimmer hier in der Klinik mit Tränen in den Augen. Und ich schmeiße jetzt den ganzen Kram hin und fahre nach Hause und rufe von dort die anderen an. Verdammt noch mal, Kleiner, was Du in Deinem Alter noch drauf hast! Ich bin stolz auf Dich, Du machst uns allen noch etwas vor! Aber sag, wie heißt Deine Verlobte, und was ist sie von Beruf?
– Sie heißt Paula und ist von Beruf Übersetzerin. Ihr gehört zusammen mit ihrer Schwester die kleine Pension, in der ich wohne.
– Sie ist Deutsche?
– Sie kommt aus Bayern und lebt seit vielen Jahren in Mandlica. Eigentlich ist sie längst eine Sizilianerin und ein wenig auch eine Griechin.
– Wunderbar, mein Kleiner, ich stelle sie mir bereits vor: Eine schönere Frau gibt es in Köln-Mülheim auf keinen Fall.
– In Ehrenfeld, Nippes und Kalk auch nicht.
– Dort auch nicht?!
– Nein, nirgends in Köln.
Ich höre ihn lachen, ich höre, wie er sich die Nase putzt. Es ist jetzt genug mit dieser Hochstimmung, mir ist nicht ganz wohl dabei. Ich verabschiede mich, aber er fragt noch nach der Hochzeit.
– Das dauert hier in Sizilien eine Weile, sage ich. Zwischen Verlobung und Hochzeit liegt mindestens ein halbes Jahr.
– Dann feiert Eure Hochzeit doch zu Ostern. Dann kommen wir vier mit unseren Familien.
– Ja, mal sehen, Martin, ich melde mich wieder. Jetzt feiere ich erst einmal Verlobung.
– Und wie feiert man das?
– Mit dem ganzen Ort, in großer Runde.
– Und dann?
– Dann verreist man eine Woche zu zweit. Nicht zu lange, nicht zu weit.
– Und das macht Ihr jetzt auch?
– Ja, das machen wir auch. In ein paar Tagen fahren wir aufs Festland, hinauf nach Apulien, an der Küste entlang, ziellos, einfach die Küste hinauf und wieder hinab.
– Benjamin, schick mir bitte ein Foto von Euch, versprichst Du mir das?
– Ja, mache ich.
– Und noch eins: Brauchst Du Geld?
– Später, Martin. Später brauche ich vielleicht in der Tat etwas Geld.
Er lacht wieder, die Nachricht hat ihn wirklich gepackt. Ich glaube ihn noch lachen zu hören, als das Gespräch längst vorbei ist. Dann schließe ich kurz die Augen und sehe uns fünf, wie wir am Tisch der lieben Eltern sitzen und warten, bis sie ausgetanzt haben.
– Was ist das eigentlich für ein Tanz? fragt Martin in die Runde.
– Das ist eine Tarantella, antworte ich.
– Halt die Klappe, Kleiner, sagt mein Bruder Josef, ein Schwachkopf wie Du ist hier nicht gefragt.
5
W IR FAHREN mit meinem Wagen bis nach Messina und setzen dort über aufs Festland, dann fahren wir weiter an der apulischen Küste entlang. Wir machen hier und dort halt und baden an einsamen Küstenstellen im Meer, wir übernachten in einem kleinen Hafen eines winzigen Ortes mit höchstens einhundert Häusern. Zwei Tage sind wir so unterwegs, dann erreichen wir die alte Hafenstadt Brindisi. Bis
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