Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
Vom Netzwerk:
wir es riskieren, unbedingt und sofort. Du kennst die Signora schon lange?
    – Ja, seit ich hier lebe. Ist sie nicht eine wunderbare Person? Sie hat mir das Sizilianische beigebracht, und sie hat mich früher alle paar Tage zu sich eingeladen. Sie ist wie eine Mutter zu mir, deshalb hat sie die Sache mit der Verlobung jetzt wohl auch so entschlossen in die Hand genommen. Früher vermutete ich manchmal, sie wolle mich mit ihrem Sohn verkuppeln, aber ich sagte ihr, dass aus Matteo und mir niemals etwas wird. Danach war das Thema erledigt.
    – Und warum konnte aus Matteo und Dir nie etwas werden?
    – Matteo ist zu bedächtig und kontrolliert, ich mag so etwas nicht. Und außerdem mag ich nicht, wie er Klavier spielt.
    – Wie spielt er denn Klavier?
    – Er schließt die Augen dabei, und die Spitze seiner Zunge hängt leicht über die Unterlippe, während er Chopin spielt.
    – Aber das passt doch zu Chopin!
    – Passt das? Ich habe keine Ahnung, ich finde es gefühlig.
    – Ja, er ist ein wenig gefühlig. Er hat seinen Umgang mit dem Schönen, Guten und Wahren nie richtig geklärt, einige Gefühlsstoffe haben sich da wohl verhakt.
    – Ja, richtig verhakt und verstopft. Irgendwie wirkt er verstopft, ich kann mir nicht helfen.
    – Lassen wir ihn weiter Chopin spielen, was meinst Du?
    – Ja, lassen wir ihn in Ruhe und feiern wir unsere Verlobung!

    Wir gehen von Bar zu Bar, und in jeder trinken wir ein Glas mit den Gästen. Als wir in der Bar unterhalb der Pension ankommen, hat sich unsere Verlobung bereits herumgesprochen. Gruppen von Passanten stehen auf dem kleinen Vorplatz und sprechen darüber. Der deutsche Wissenschaftler hat sich mit Paula verlobt! Wie bitte? Ist das wahr?! Paula hat sich wirklich verlobt, mit diesem Gedankenleser aus Deutschland? Ja, mit dem, mit dem Gedankenleser! Wir werden gefeiert, und ein älterer Mann stimmt ein Lied für uns an, wir stehen lange vor der Bar, und Paula singt am Ende mit. Von überall strömen jetzt die Menschen herbei, sogar ältere Frauen, die sonst eine so große Scheu haben, sich an solchen Plätzen zu zeigen, kommen aus ihren Häusern. Einige haben frische Blumen dabei, und Paula wird eifrig beschenkt. Der ältere Mann, der das Lied angestimmt hat, kommt zu mir und sagt:
    – Signor Merz, es ist schön, dass Sie sich verlobt haben, und dann noch in eine so schöne Frau! Jetzt brauchen Sie aber auch ein schönes Haus, ich werde mich umsehen!

    Ich danke ihm und unterhalte mich mit ihm eine Weile über leer stehende Häuser in Mandlica. Er zählt einige
auf und kalkuliert gleich auch die eventuellen Kosten der Renovierung. Dann erscheint auch eine ältere Frau, an die ich mich dunkel erinnere. Ich weiß aber nicht, wo ich sie bereits gesehen habe.
    – Erinnern Sie sich denn noch an mich? fragt sie, und als ich verneine, sagt sie: Ich habe Ihnen einmal die Hand gegeben, als Sie ganz allein unseren Dom verließen. So etwas bringt Glück, denn um einen Mann, der noch allein ist und dem eine ältere Frau von sich aus die Hand gibt, kümmert sich die Jungfrau Maria.
    Ich lache verlegen, sie denkt, dass ich ihr nicht glaube, deshalb wiederholt sie, was sie zuletzt gesagt hat und fügt noch hinzu, es gebe ein altes sizilianisches Sprichwort: Wem eine Alte das Brot bricht, um es der Jungfrau Maria zu reichen, dem werden Braut, Haus und Hof. Ich schreibe mir den Text auf und danke ihr, und wenig später ziehe ich mit Paula weiter, den gesamten Corso der Stadt entlang, während die Menge der Menschen uns von Bar zu Bar folgt und immer größer wird.

    Als ich ein paar Stunden später für ein paar Minuten allein in meinem Zimmer bin, rufe ich meinen Bruder Martin in Köln an:
    – Martin? Ich bin’s, Benjamin.
    – Benjamin? Du? Um Gottes willen! Ist etwas passiert?
    – Nein, es ist nichts passiert.
    – Aber Du rufst doch sonst nicht an, was ist los?
    – Martin, ich möchte mit Dir etwas besprechen.
    – Etwas Unangenehmes, Benjamin?
    – Nein, etwas Schönes.
    – Also gut, dann leg los.
    – Martin, Du weißt, ich habe zu Euch vieren nicht den besten Kontakt, über die Gründe sprechen wir jetzt nicht, das ist ein anderes, altes Thema. Mit Dir komme ich noch am besten aus, auch das weißt Du. Und weil ich mit Dir noch am besten auskomme, erfährst Du jetzt eine Neuigkeit, die Du den anderen mitteilen oder beibringen sollst. Es ist eine Nachricht, die ihr bestimmt nicht erwartet, und ich möchte Dich bitten, diese Meldung nicht gleich niederzuschreien, nur weil sie Euch

Weitere Kostenlose Bücher