Das Kind, Das Nicht Fragte
Parkgelände vorbei, in dem jetzt Scharen von Kindern spielen. Die jungen Mädchen, die sie betreuen und ihr Spiel beobachten, sind zu jung, um ihre Mütter zu sein, anscheinend sind es ältere Geschwister oder Kindermädchen, man sieht ihnen jedenfalls an, dass sie nicht bei der Sache sind und sich am liebsten sofort wieder davonmachen würden. Manche von ihnen schauen minutenlang nur auf ihre Handys, als spielten sich dort die eigentlichen Dramen des Lebens ab, andere unterhalten sich leise und lachen immer wieder auf, als falle ihnen mühelos ein guter Scherz nach dem andern ein. Als ich den Park betrete und hinüber zu dem großen Brunnen in seiner Mitte schlendere, bewegen sie sich unwillkürlich von mir weg.
Auch in diesem Park ist kein einziger Mann unterwegs, anscheinend betrete ich auch hier ein Terrain der Frauen, das so dreist und unvermittelt höchstens ein Fremder betritt. Reflexartig setze ich mich wie in der Kirche auf eine Bank und hole erneut meinen Notizblock hervor: Die noch sehr jungen Frauen im Park. Auch hier eine streng geschlossene Zone. Keine von ihnen hält sich in der Nähe des kleinen Kiosks auf, an dem es Zeitungen, Süßigkeiten und Eis zu kaufen gibt. Sie tun so, als kämen sie nie auf die Idee, dort etwas zu kaufen. Wer also kauft überhaupt etwas an diesem Kiosk, was ist, verdammt noch mal, mit diesem Kiosk los? Ich bin etwas gereizt, weil sich gleich bei meinem ersten Rundgang so viele Fragen ergeben, auf die ich keine Antwort weiß. Niemand hier kommt mir auf irgendeine Weise entgegen, niemand geht auf mich zu, begrüßt mich, unterhält sich mit mir, fragt, woher ich komme oder was mich hierhergeführt hat. Ich rede mir gut zu und befehle mir, nicht ungeduldig zu werden und meinen Weg einfach fortzusetzen. Setzen Sie Ihren Weg bitte fort , sage ich laut, und die sehr jungen Frauen drehen sich plötzlich alle nach mir um, als wäre ich ihnen zu nahegetreten oder hätte ihnen ein unsittliches Angebot gemacht.
Ich gehe weiter, ich verlasse den Park wieder und lenke mich damit ab, dass ich die Farben der zu beiden Seiten der Straße sich dicht nebeneinander hinziehenden, niedrigen Häuser studiere. Die auf der linken, zum Meer hin gelegenen Seite sind meist dunkelblau, während die auf der rechten Seite meist einen fahlen, von der Sonne gebleichten Ockerton haben. Die Tür-und Fensterrahmen sind oft weiß gestrichen, und jedes Haus hat im ersten Stock einen kleinen Balkon, auf dem ein paar Blumen und ein einzelner Stuhl stehen. Jetzt ist doch die beste Zeit, dort zu sitzen und das Treiben auf der Straße zu beobachten! Warum sitzt dann aber auf all diesen Balkonen kein einziger Mensch? Und warum sind die Balkontüren andererseits doch überall weit geöffnet, als säßen die Bewohner gleich dahinter, im Innern?
Je länger ich umhergehe, umso mehr Fragen ergeben sich. Ich komme kaum noch dazu, sie mir alle zu merken,
ich muss mich unbedingt irgendwo hinsetzen, um sie in Ruhe und detailliert zu notieren. Wohin aber soll ich gehen? Ich mag mich nicht in die Cafés setzen, in denen die älteren Männer den Ton angeben und Stunden bei einem Glas Wasser zubringen. Ich mag aber auch nicht die schnieken kleinen Eissalons aufsuchen, in denen jetzt die Schüler herumlümmeln und sich die neusten Computerspiele vorführen. Die Restaurants wiederum öffnen erst später, gegen acht Uhr, und so etwas wie eine Wein-oder Bierstube, in der man bei einem guten Glas etwas Zeit verbringen könnte, gibt es in dieser Stadt nicht.
Vor lauter Ratlosigkeit bleibe ich schließlich stehen. Weil ich von der Reise sehr müde bin, nerven mich jetzt der Verkehr und all dieses Treiben, das mir nur Rätsel aufgibt. Das Dorf scheint jetzt beinahe übervölkert, und vor den berühmten und in vielen Reiseführern erwähnten Pasticcerien stehen große Gruppen von Menschen, die sich irgendeine Süßigkeit gekauft haben, um sie draußen, auf der Straße, in Gesellschaft zu verzehren. Ich könnte mir all das genauer anschauen, ich könnte die Pasticcerien betreten und erkunden, welche Süßigkeiten favorisiert und immer wieder gekauft werden. Ich bin jedoch einfach zu müde, und so beschließe ich, den ersten Forschungsrundgang zu beenden und ohne weitere Überlegungen in meine Pensionszimmer zurückzukehren.
Als ich die Tür meiner kleinen Wohnung öffne, höre ich mich laut sagen:
– Na bitte, endlich sind wir wieder zu Hause! Warum nicht gleich so?
Ich erschrecke ein wenig und schließe die Tür hinter mir
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