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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Forschungen so vor, ich dagegen bin kein Anhänger dieser Methode. Stattdessen suche ich umgekehrt zunächst nach einem ersten Gesprächspartner, mit dessen Hilfe ich das weite Terrain einer Landschaft oder eines Ortes zunächst provisorisch auf Themen hin sondiere. Das setzt voraus, dass dieser Gesprächspartner bereits etwas älter, aber auch noch nicht zu alt ist. Ein älterer Mann, der viel Zeit hat, über ein eigenständiges Urteil verfügt und Freude daran hat, mit mir zu sprechen – so sollten die Forschungen wenn irgend möglich beginnen.

    Bei der Auswahl solcher Gesprächspartner können einem schwere Fehler unterlaufen. Man kann an Männer geraten, die fabelhaft erzählen, letztlich aber viel Unwahres oder frei Herbeifantasiertes auftischen. Leicht kann man aber auch Männern begegnen, die an exzessiver Wichtigtuerei leiden und all die Geschichten, die sie einem raunend und bedeutungsheischend mitteilen, selbst nicht richtig einschätzen und bewerten können. Und schließlich gibt es auch Männer, die hinter allem und jedem fremde Mächte, dunkle Gewalten oder mysteriöse Potenzen vermuten, solche Männer lassen alle Geschichten in ein vages Nichts münden, und am Ende sitzt man mit ihnen nur achselzuckend und verlegen da: So war das also …, unglaublich …, so spielt das Schicksal mit uns …

    Hat man mit Gesprächstechniken einige Erfahrung, erkennt man solche Gesprächspartner schon bald und
kann sich dann solche Gespräche ersparen. Wichtig für ein gutes Gespräch ist auch, dass einem der jeweilige Gesprächspartner sympathisch ist. Man sollte ihn mögen, und er wiederum sollte einen ebenfalls mögen. Mit der Zeit und im Verlauf der vielen Gespräche, die man miteinander führt, sollte sich allmählich so etwas wie eine freundschaftliche Verbindung anbahnen, die nicht lange beschworen oder gefeiert, sondern einfach spürbar sein sollte.

    Dieses Freundschafts-oder Sympathiemoment ist in meinen Augen die schwierigste Herausforderung, die sich zu Beginn der Forschungen stellt. Denn natürlich wird man nur durch einen Zufall oder durch glückliche Umstände einen Menschen finden, der all diese Voraussetzungen erfüllt. Schon im normalen Leben sind Menschen, mit denen man Freundschaft schließt, äußerst selten. Um wie viel schwieriger ist es aber, verlässliche und gute Freunde zu finden, die dazu noch Experten für bestimmte Themen sind!

    Statt nach älteren Männern könnte man auch nach älteren Frauen fahnden. In Mandlica stehen dem aber einige Hindernisse entgegen. Zum einen würde keine ältere Frau gern allein mit mir sprechen. Sie würde, falls sie verwitwet wäre (was viele ältere Frauen hier sind), weitere Frauen zu den Gesprächen hinzuziehen, und sie würde, falls sie verheiratet wäre, darauf Wert legen, dass ein Mitglied der Familie bei den Gesprächen anwesend ist.

    Die Anwesenheit anderer Menschen lässt jedoch jeden Erzähler, gleich, ob er eine Frau oder ein Mann ist, ganz anders erzählen, als wenn er allein erzählen würde. Sind andere Menschen anwesend, bezieht nämlich jede Erzählerin oder jeder Erzähler die meist stumm anwesenden Zuhörer mehr oder minder bewusst in die Erzählungen ein. So erhalten diese Erzählungen bestimmte Ausrichtungen, sie verlaufen mit dem Blick auf ein bestimmtes Zielpublikum, und nach der Vorgabe dieses Zielpublikums werden bestimmte Details dann ausgewählt, gestrichen oder besonders hervorgehoben.

    Ein gutes ethnologisches Forschungsgespräch kann also nur unter vier Augen stattfinden. Der Forscher sitzt als Fragender einem Befragten gegenüber, und dieser Befragte sollte ganz aus sich heraus, ohne an andere Menschen oder an irgendein Publikum zu denken, möglichst frei berichten oder erzählen. Zu einem derart freien und unzensierten Erzählen hinzugelangen, ist mit das Schwerste, das ein Forscher anstreben sollte. Ein Großteil der Erzähler erzählt nämlich anfänglich genau so, als würden andere Menschen wie zum Beispiel Freunde oder Bekannte das Gespräch mitverfolgen und als wären diese Freunde oder Bekannten regelrecht anwesend.

    Dem Forscher sollte es nun aber gelingen, ihn von den gewohnten Bahnen des Erzählens abzubringen. Das sollte unmerklich und mit großer Vorsicht geschehen, keineswegs darf man dem Befragten zusetzen, ihn hart angehen oder ihn bitten, bestimmte Sachverhalte noch genauer oder detaillierter zu erzählen. Außerdem darf
man dem Befragten an keiner Stelle des Gesprächs den Eindruck vermitteln, dass er Fehler

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