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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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interessiert ihn aber nur der Vorname, und so gibt er mir die Hand und begrüßt in mir seinen Kunden Beniamino.

    Als ich diese italienische Version meines Vornamens höre, ist mir das etwas peinlich. Benjamin – das weckt in der italienischen Version ( Beniamino) ganz andere Assoziationen als im Deutschen. Im Deutschen nämlich lassen sich die drei Silben des Namens Ben-ja-min durchaus rasch, trocken und mit gleichmäßiger Betonung hinter sich bringen, während die italienische Version Beniami-no aus einem viersilbigen, klanglich ins Dunkle und Helle zugleich ausschwingenden Klanggebilde besteht. Darüber hinaus verkleinern die beiden Endsilben mi-no den Träger dieses Vornamens und machen aus ihm eine putzige Figur aus einem auf die Nerven gehenden Kinderbuch. Sich als ein Beniamino anreden zu lassen, das bedeutet für mich: Zurück in eine übermöblierte Kinderstube versetzt zu werden, um dort allein mit bunten Bausteinen spielen zu müssen.

    Ich schlucke also einen Moment, als mein Gegenüber behauptet, dass es ihn freue, einen derart ausgestorbenen Vornamen wieder zu hören. Beniamino – das sei ein durch und durch literarischer Vorname und zudem ein Wohlklang aus lauter Vokalen, unter glücklicher Umgehung
des dunklen u . Er selbst heiße Alberto , das reiche nicht ganz an einen Vornamen wie Beniamino heran, er sei aber mit Alberto zufrieden, obwohl er die Romane des römischen Schriftstellers Alberto Moravia, nach dem seine Eltern ihn Alberto genannt hätten, nicht besonders schätze.

    So kommen wir ins Gespräch, und es ist, als wären wir vom ersten Moment an in irgendeiner tiefen Quellregion fündig geworden, von wo nun die Worte, Sätze und Assoziationen ganz spielerisch auftauchen und nach oben drängen. Mühelos, ohne Pausen sprudelt unser Gespräch nur so von Ideen, Anspielungen und Pointen, während das Rauchen der starken Stumpen dazu beiträgt, dass der Kopf hell und wach bleibt. Und so erfahre ich unter anderem, dass Alberto in Mandlica zur Welt gekommen ist und den Ort als junger Mann zum Studieren im Norden verlassen hat. Die meisten jungen Männer, die hier geboren werden, gehen nach der Schulzeit in den Norden. Nichts wie weg, sagen sie sich, denn in diesem Alter haben sie einen regelrechten Hass auf Sizilien. Woran das liegt? Sie haben das Gefühl, hier laufe sich alles tot, und es gebe nie eine Veränderung, und nirgends gebe es solche tyrannischen Alten wie hier, Alte, die bis zum Tod den Ton angeben und ihre Familien streng an der Kandare halten. Die Jungen studieren also im Norden, und dann arbeiten sie dort und verdienen etwas Geld, und bald darauf kommen sie in den Ferien regelmäßig zurück auf ihr Sizilien, bleiben ein paar Wochen, geben das Geld, das sie verdient haben, aus, bauen schließlich ein Häuschen, richten sich ein und kommen nach ihrem Arbeitsleben im Norden schließlich wieder ganz hierher zurück. Das heißt: Sie werden Sizilien nicht los,
keiner, der hier geboren und aufgewachsen ist, wird diese Insel los, Sizilien brennt sich jedem von Geburt an ein, und am Ende sehnst Du Dich nach nichts mehr als nach einer dunklen Frauenstimme, die Totenlieder zu Deiner Beerdigung singt. Strenge, Dunkelheit, Einsamkeit – von alldem hat Sizilien etwas, Du darfst Sizilien nicht mit Italien verwechseln. In Sizilien hätte es nie eine Renaissance geben können, und die alten Tempel, die Du hier findest, haben nicht die Einheimischen, sondern die Griechen gebaut. Und die sind, wie alle anderen Fremden, die es einmal hierher verschlagen hat, irgendwann wieder geflohen. Nichts wie weg, ab in den Norden oder noch weiter weg, nur weg, nichts wie weg!

    Er lacht laut auf und erzählt weiter, dass er im Norden Theaterwissenschaften studiert und jahrzehntelang Dramaturg an einigen kleineren Theatern wie zum Beispiel in Modena und in Ferrara gewesen sei. Vor sieben Jahren sei er mit Tausenden von Büchern wieder nach Mandlica zurückgekehrt und habe die Bücher unbedingt loswerden wollen. Was wollte ich hier noch mit meinen Büchern? Am liebsten hätte ich sie verschenkt, aber sie sollten in gute und vor allem in die richtigen Hände kommen. Also habe ich mich nach einem passenden Raum für sie umgeschaut und diese kleine Stube gefunden. Die wenigen Menschen, die sich wirklich für Literatur interessieren, kommen fast täglich bei mir vorbei. Alle paar Tage verkaufe ich ein Buch. Jeden Tag trinke ich Unmengen an Tee, rauche mindestens eine »Antico toscano« und trinke abends, bevor ich

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