Das Kind, Das Nicht Fragte
Löcher etwas oberhalb meiner Schuhe an den hinteren Fersen befanden. Erkälten Sie sich nicht! empfahl er ironisch, und mir fiel nichts, aber auch gar nichts ein, was ich darauf noch hätte antworten können.)
Vorerst stimmt also alles, der Raum, die Auswahl der Bücher – und nicht zuletzt dieser schweigsam dasitzende Mann, der sich von einem herbeigelaufenen Kunden nicht von seiner intensiven Lektüre abhalten lässt. Die Frage ist nur, wie ich weiter vorgehen soll. Soll ich ihn nach einem bestimmten Buch fragen, um Eindruck auf ihn zu machen? Soll ich ein besonders rares und daher auf eine Expertenneugier hindeutendes Buch kaufen und ein Gespräch darüber beginnen? Ich kann mich nicht entschließen und tue daher schließlich das Nächstliegende. Nach und nach stelle ich eine kleine Sammlung jener Bücher zusammen, die mich besonders interessieren. Ich lege sie zu einem kleinen Stapel aufeinander und gebe mir dann einen Ruck, indem ich den Buchhändler frage, ob ich die von mir ausgewählten Bücher mit nach draußen nehmen darf, um sie dort in Ruhe ein wenig länger zu studieren.
Er blickt auf, nimmt seine schwarze, vielleicht etwas zu kleine Brille mit den runden Gläsern ab und antwortet, dass ich die Bücher selbstverständlich mit nach draußen nehmen dürfe. Sofort, so lange und so viele ich wolle!
Ich greife nach meinem Stapel und trage ihn nach draußen, ich rücke mir einen Korbstuhl zurecht und lege die Buchauswahl auf einen der dunkelroten Tische, ja, ich bin in diesem merkwürdigen Moment plötzlich glücklich, als sei gerade etwas ganz Besonderes geschehen und als habe in diesem besonderen Moment nichts Besseres geschehen können.
Ich sitze vielleicht zehn Minuten im Freien und lese, als er zu mir nach draußen kommt. Er fragt, ob er sich zu mir setzen dürfe, und er fragt weiter, ob er mir eine Freude mit einem Glas Granita machen könne.
– Granita? frage ich nach, aber woher bekommen wir denn hier eine Granita?
– Ich werde für uns zwei Gläser bestellen, zwei Gläser Zitronen-Granita, machen Sie mit?
Ich nicke erstaunt, und er geht kurz zurück in die Buchhandlung, um über sein Handy in einer offensichtlich nahen Pasticceria zwei Gläser Zitronen-Granita zu bestellen.
– Es wird nur drei, vier Minuten dauern, sagt er, sie bringen es von der Bar schräg gegenüber hierher. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich einen Schuss Wodka über die Granita geben, dann entfaltet sie ein zusätzliches Aroma.
Ich nicke erneut, ich bringe kein Wort heraus, mein Erstaunen ist so groß, dass mir keine einzige gescheite Formulierung einfällt. Drei, vier Minuten später aber löffeln wir beide eine Zitronen-Granita aus kleinen Trinkgläsern. Die winzigen, zerstoßenen Eissplitter
zergehen sofort auf der Zunge und jagen einen Hauch Wodka hinterher. Als wir damit fertig sind, holt er aus der Buchhandlung eine Schachtel mit einigen dunklen Zigarrenstumpen, die angeblich beim Rauchen einen angenehmen Anis-Geschmack entfalten.
– Nach einer Granita immer eine Antico toscano , sagt er und deutet mit dem Zeigefinger auf die Marke, als müsste er mir erklären, was eine Antico toscano ist. Ich nicke und lächele wohl etwas verlegen, ich fühle mich wie ein Schüler, der von einem Meister in die Künste der Lebensklugheit eingeführt wird.
Wir beginnen zu rauchen und schweigen einen Moment, vor unseren Augen fahren die Autos unendlich langsam und verzögert in einem nicht abreißenden Strom wie in einer Endlosspirale vorbei, während im Vordergrund, auf dem schmalen Bürgersteig, meist Frauen mit halbvollen Einkaufstaschen so eilig und geschäftig unterwegs sind, als würden sie von irgendwem dringend erwartet.
Ich überlege kurz, ob ich das Gespräch mit einem Hinweis auf die Bücher, die vor mir auf dem Tisch liegen, beginnen soll, überrasche mich selbst aber dann damit, dass ich ohne langes Nachdenken und weiteres Zögern und ganz gegen meine Gewohnheit eine sehr direkte Frage stelle, die dann alles Weitere mit großer Leichtigkeit ins Rollen bringt. Ich frage den offensichtlich gut gelaunten Buchhändler, der viele der vorübereilenden Frauen immer wieder aus der Ferne mit einem Handzeichen grüßt, nämlich einfach, seit wann er diese Buchhandlung
betreibe und ob er ein Mandlicaner von Geburt sei. Er beugt sich nach vorn und senkt etwas den Kopf, als wollte er unter einem Hindernis hindurchschlüpfen, dann fragt er mich unvermittelt nach meinem Namen. Ich nenne meinen Vor-und Nachnamen, es
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