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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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sprach sogar etwas vor mich hin und begann eine Unterhaltung, musste mir aber schließlich eingestehen, dass meine Fantasie nicht einmal ausreichte, mir eine entsprechende Begleitung auch konkret vorzustellen. Mit wem wäre ich denn gern unterwegs gewesen? Gewiss nicht mit einer der bekannten TV-oder Vorzeigefrauen, deren Lebensgeschichten in den entsprechenden Internet-Portalen von Hunderten unruhiger Voyeure neidvoll diskutiert wurden. Gewiss aber auch nicht mit irgendeiner insgeheim Angebeteten, nach deren Präsenz ich mich ununterbrochen gesehnt hätte. Nichts da, es gab solche entrückten Frauen, denen ich mich gerne zu Füßen geworfen hätte, nicht, selbst
die Gegenwart einer Marilyn Monroe hätte mir wenig zugesagt, zumal ich mich um eine Marilyn Monroe ununterbrochen hätte kümmern müssen. Der stumme Vorwurf, der von breiten Hotel-oder pompösen Doppelbetten ausging, betraf also weniger die Tatsache, dass ich allein unterwegs war, als eher die Unfähigkeit meiner Fantasie, mir eine Frau vorzustellen, mit der ich gerne unterwegs gewesen wäre. ( Brillant, das haben wir nun auch für immer geklärt … )

    Die Nachmittage vergehen meist mit den vielen Schreib-und Abschreibarbeiten, für die ich an den Vormittagen Stoff und Material gesammelt habe. Vier bis fünf Stunden benötige ich für dieses unermüdliche Schreiben, das nur durch einen kurzen Gang in den Ort unterbrochen wird. Ich habe mir angewöhnt, während dieses Rundgangs eine der vielen Pasticcerien von Mandlica aufzusuchen, um dort jeweils eine kleine Süßigkeit zusammen mit einem entsprechenden Nachmittagsgetränk zu kosten. Ich sagte bereits, dass Mandlica vor allem von diesen Pasticcerien, Cafés und Dolci-Tempeln lebt, beinahe die gesamten finanziellen Erträge des Ortes haben mit diesen Luxusstätten und ihren Nebenbetrieben zu tun. Nachmittags arbeite ich mich den zentralen Corso der Stadt entlang und suche jeweils einen dieser Lustplätze auf, manchmal nehme ich auch nur ein einziges Getränk zu mir, denn eine Tasse Schokolade zum Beispiel ist in Mandlica nicht nur eine Tasse Schokolade, sondern fast schon eine kleine Mahlzeit. Die Schokolade ruht nämlich, sphinxähnlich verschlossen und mit der dunklen Patina einer beinahe lederähnlichen Haut überzogen,
in einer großen Tasse, die man nicht austrinkt, sondern mit einem silbernen Löffel leert und am Ende auskratzt. Dabei taucht der Löffel in die Schokolade ein wie in eine Mousse und stößt erst auf ihrem Grund zu etwas leicht Flüssigem vor, das wie eine feurige Lava scharf und bittersüß zugleich ist. Ich erkundige mich immer wieder danach, wie man eine solche Lava herstellt und woraus sie besteht, niemand antwortet mir aber darauf mit der Angabe von konkreten Details, sondern eher mit so ausweichenden Bemerkungen wie der, dass der flüssige Schokoladensud der schwarze Ätna genannt werde. Und woraus ist Euer schwarzer Ätna gemacht? frage ich nach, und erhalte die Antwort: Jeder macht ihn anders, und keiner weiß, wie ihn der andere macht.

    Die Dolci, die ich am Nachmittag verzehre, sind meist so mächtig, dass ich am Abend keinen Appetit mehr habe. Ich esse also nur noch etwas Obst und gehe gegen acht oder neun Uhr hinaus ins Freie. Beinahe jeden Abend nehme ich eine der breiten Freitreppen hinunter zum Hafen und setze mich dann für eine Weile in eine der vielen Bars, die das große Hafengelände säumen. Ich lese, oder ich schaue zu, wie sich allmählich all die Jugendlichen auf ihren Motorrädern einfinden, die schon bald den Ort verlassen werden, weil sie in ihm keine Arbeit mehr finden. Das Nachtleben der Stadt findet hier unten am Hafen statt, und es dauert meist bis zum Morgengrauen. Als Erstes werden die Bars geflutet, und es wird ausgiebig und laut getrunken. Dann, gegen zehn Uhr, verteilen sich alle in die Fischrestaurants an der Küste, die vor einigen Jahren noch recht armselige Holzbuden
gewesen sein müssen. Inzwischen aber haben ihre Besitzer die Erlaubnis erhalten, sie aus-oder umzubauen, und so sind daraus weiträumige Esssäle geworden, in denen um Mitternacht oft Hunderte von Menschen nichts anderes essen als Fisch. Ein einziges Mal habe ich mich bisher getraut, an einer solchen nächtlichen Orgie teilzunehmen. Ich habe mich an einen Einzeltisch unter all die Familien und Freundeskreise gesetzt, die immer ausgelassener und fröhlicher werden und dabei kaum einen Tropfen Alkohol trinken. Die Kellner taten so, als würden sie mich übersehen, ich musste sie

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