Das Kind, Das Nicht Fragte
immer wieder um dieses oder jenes bitten, und am Ende wäre ich am liebsten verschwunden, ohne zu bezahlen, denn im Grunde hatten sie mich weder versorgt noch bedient, sondern eher wie Luft behandelt.
Weit mehr Vergnügen macht es, die Nacht über im Hafengelände spazieren zu gehen. In den Bars lese ich Zeitung und bekomme ganz nebenbei viele Geschichten mit, und manchmal sitze ich bis kurz nach Mitternacht auch nur bewegungslos auf einer der langgestreckten Molen, die sich weit hinaus ins Meer erstrecken. Gern würde ich in einer solchen Nacht einmal mit einem Boot hinausfahren. Und mittlerweile wüsste ich auch sehr genau, mit wem ich das gerne tun würde.
Herrgott, wohin ist Paula denn nur verschwunden? Und habe ich mich geirrt, als ich annahm, dass unser Gespräch ihr ebenso gefallen haben könnte wie mir?
5
E S PASSIEREN sehr seltsame Dinge. In den letzten Tagen habe ich festgestellt, dass Maria die anderen Pensionsgäste während des Frühstücks keineswegs so anspricht wie mich. Sie ist dann auch im Innenhof anwesend, ja, das schon, aber sie spricht nur wenig und das nur, wenn sie etwas gefragt wird. Und so habe ich plötzlich den merkwürdigen Eindruck, als bereitete sie sich ausgerechnet in meiner Gegenwart auf eine große Rolle vor – wie eine Schauspielerin, die sich einspricht und den entsprechenden Text immer aufs Neue probt. Sie rückt näher an Dich heran , denke ich und fühle mich in diesen Gedanken bestätigt, als sie mir ganz nebenbei das Du anbietet:
– Signor Merz, wir beide kennen uns nun schon so gut, dass ich lieber Beniamino zu Ihnen sagen würde.
Natürlich war ich einverstanden, dass wir uns duzten, obwohl ich gleich den Verdacht hatte, dass dieses Duzen mit weiteren Freundschaftsaktionen verbunden war. Und wirklich, kurze Zeit später taucht Maria an einem Nachmittag zum ersten Mal vor der Tür meines Zimmers auf. Sie klopft und fragt beinahe schüchtern, ob sie mich stören dürfe, und als ich öffne, sehe ich, dass sie ein ganzes Tablett mit einem Teeservice dabei hat, um uns beiden einen Nachmittagstee zu servieren. Sie hat sich umgezogen und trägt nicht mehr eines der einfarbigen oder wildbunten weiten Kleider, mit denen sie beim Frühstück wie eine Allegorie des frühen Morgens
auftrumpft, sondern ein schlichtes, einfaches Kleid, das eher wie ein Arbeitskittel aussieht.
Ich räume einige im Weg liegende Bücher-und Papierstapel beiseite, während Maria das Tablett auf einem kleinen Rundtisch abstellt, zwei Stühle herbeizieht, den Tee einschenkt und Platz nimmt.
– Du bist nachmittags immer allein auf Deinem Zimmer, beginnt sie.
– Nachmittags ist Schreibzeit, antworte ich und warte ab, was nun kommen wird.
– Oh, dann störe ich?
– Neinnein, ich trinke gern mit Dir einen Tee.
– Soll ich Dir etwas beichten? Ich mag gar keinen Tee, ich finde Tee furchtbar. Ich komme mit diesem Tee zu Dir, weil Nachmittag ist und mir kein anderes Getränk für den Nachmittag einfällt. Kaffee am Nachmittag? Nein, das geht nicht. Alkohol am Nachmittag? Geht auch nicht. Was sollen wir also trinken, wenn nicht diesen lächerlichen Tee? Tun wir so, als ob er uns schmecken würde. Oder hast Du eine bessere Idee, was wir trinken könnten?
– Ich habe nichts gegen Tee, ich mag Tee am Nachmittag, für eine Stunde, in der Zeit von Vier bis Fünf, danach nicht mehr.
– Nun gut, dann bleiben wir vorerst beim Tee. Und ich beichte Dir gleich auch noch etwas anderes: Ich bin nicht nur gekommen, um mit Dir Tee zu trinken, der Tee ist eher ein Vorwand, denn ich bin mit gewissen Hintergedanken gekommen.
Das kann nicht sein, denke ich, nein, das ist unmöglich. Sie wird Dir jetzt nicht als Drittes beichten, dass sie mit Dir das nahe stehende Bett aufsuchen will, nein, gewiss nicht! Obwohl
sie durchaus fähig wäre, einen solchen Vorschlag zu machen! Sie ist spontan, und sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Aber so ein Angebot zum jetzigen Zeitpunkt wäre plump und banal, und sie hat ein sehr feines Sensorium für Plumpes, Banales. Dieses Sensorium hat sie durch genaue Beobachtung ihrer Gäste geschult, da entgeht ihr kein Detail, und sie ist immer auf der Höhe ihrer Besucher. Neulich hat sie mich auf einen japanischen Gast hingewiesen, der bei leichtem Regen mit gesenktem Kopf und aufgestützt auf einen Regenschirm im Innenhof stand. Siehst Du, hat sie gesagt, er bedankt sich erst für den Regen, bevor er den Schirm aufspannt. Und erst gestern hat sie ein wunderbares Detail an dem
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