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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Orangensaft bitter oder süß? Und dazu vielleicht einen Schuss Limette? Solche Fragen mag ich sehr.
    – Solche Fragen mag ich auch.
    – Aber Du stellst sie niemandem, wie Deine Schwester es tut.
    – Nein, ich war ja auch keine Stewardess, ich war etwas anderes.
    – Richtig, Du warst etwas anderes.
    – Wie bitte?! Weißt Du etwa auch, was ich gemacht habe, während meine Schwester als Stewardess durch die Welt flog?
    – Ich weiß es so ungefähr.
    – Ist ja nicht zu fassen. Nein, ich kann das nicht glauben. Aber nun gut, ich denke darüber nach und lasse Dich jetzt mal allein frühstücken. Wenn Du fertig bist, kannst Du mir etwas helfen, indem Du den Rollwagen zurück in die Küche schiebst. Ich bin nun mal keine Rollwagenfrau, das weißt Du ja sicher auch.

    Als ich wieder allein bin und zu frühstücken beginne, ahne ich, dass Paula nie mehr für so lange Zeit und allein wegfahren wird. Ich ahne auch, was sie in der letzten Zeit gemacht hat. Sie ist allein durch Sizilien gefahren, sie hat sich dies und das angeschaut. Ich habe auch bereits eine erste Vermutung, warum sie das getan hat, aber ich muss darüber noch länger nachdenken und außerdem ein paar Leute befragen. ( Muss ich denn wirklich wissen, wo genau Paula war? Für mich ist das sehr wichtig, ich möchte es unbedingt wissen. Und warum? Darum. Basta.)

    Ich frühstücke gut und habe, je länger ich frühstücke, eine immer bessere Laune. Seit langem war ich nicht mehr so gut gelaunt. Ich bemerke es an dem Schwung, den ich spüre und der am Ende so stark ist, dass ich Tassen, Teller und Besteck wahrhaftig auf den Rollwagen packe und ihn beinahe beschwingt in die Küche zurückfahre. Paula ist beschäftigt, natürlich, sie hat jetzt viel zu tun.
    – Kann ich Dir helfen? frage ich.
    – Nein, kannst Du nicht. Du sollst forschen, nicht helfen.
    – Kann ich Dir sonst einen Gefallen tun?
    – Kannst Du.
    – Na dann, ich höre.
    – Du hattest eine Audienz bei unserem Bürgermeister, stimmt’s?
    – Ja, ich war im Rathaus und habe mich eine Weile mit ihm unterhalten.
    – Unser Bürgermeister behält nichts für sich. Wenn Du eine Audienz bei ihm hast, weiß halb Mandlica eine Stunde später, was während der Audienz geredet wurde.
    – Und was wurde geredet?
    – Du hast ihm das erste Kapitel Deines Buches über Mandlica vorgelesen.
    – Aha. Und weiter?
    – Unser Bürgermeister behauptet, es sei das schönste Stück Poesie, das er je gehört habe.
    – Hat er das gesagt. Hat er gesagt, es sei Poesie?
    – Genau das. Er hat gesagt, Deine Prosa sei eigentlich Poesie, in Stein gemeißelt. Wie die großen Texte der alten Lateiner, wie Tacitus oder Caesar.
    – Donnerwetter! Ich habe ihn anscheinend wirklich beeindruckt.
    – Und wie Du ihn beeindruckt hast! Du kannst es Dir gar nicht vorstellen.
    – Doch, kann ich. Und ich weiß jetzt auch, welchen Gefallen ich Dir tun könnte. Du möchtest das erste Kapitel meines Buches hören, stimmt das?
    – Ich gebe auf, Du weißt wirklich alles.
    – Lass mir noch ein wenig Zeit, ich möchte noch einige Ergänzungen vornehmen. Dann lese ich Dir den Text vor.
    – In Ordnung. Ich bin sehr gespannt auf diesen Text, weißt Du?
    – Ja, weiß ich, aber ich weiß nicht genau, warum er Dich so interessiert.
    – Na fein, endlich weißt Du einmal etwas nicht.
    – Wie steht es denn mit meiner Einladung zu einem Abendessen unten im Hafen?
    – Du enttäuschst mich. Ich war nie mit einem Mann zum Abendessen unten im Hafen. Und jetzt soll ich das plötzlich tun? Einfach so? Das wäre gegen all meine Gewohnheiten und Regeln. Wir könnten aber zusammen einen Ausflug mit Deinem Wagen machen, das ginge.
    – Man wird uns sehen, wenn wir mit meinem Wagen unterwegs sind.
    – Nein, wird man nicht. Ich fahre mit meiner Vespa zu einem Treffpunkt außerhalb von Mandlica, dorthin kommst Du mit Deinem Wagen, dann fahren wir zusammen los.
    – Du hast alles bereits geplant …
    – Ja, ich habe mir Gedanken gemacht.

    Ich räume die Sachen vom Rollwagen und denke beinahe zwanghaft darüber nach, welche Gedanken sie sich gemacht haben könnte. Sonst habe ich in solchen Fällen schon bald ein paar Ideen, jetzt aber fühle ich mich durch Paulas Nähe blockiert. Ich spüre diese Nähe bei jeder meiner Bewegungen, sie sind richtig bleiern und verkrampft. Ich lenke mich dadurch ab, dass ich Paula genauer beobachte. Sie trägt einen dunkelblauen Arbeitskittel von genau der Art, wie Maria sie während unserer Gespräche trägt. Das

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