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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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Verhältnis der beiden Schwestern zueinander ist für mich noch immer schwer zu durchschauen. Soll ich Paula einfach danach fragen? Oder soll ich im Ort weitere Erkundigungen einziehen? Ich entschließe mich für die direkte Methode.

    – Wenn ich meine Forschungs-Gespräche mit Deiner Schwester führe, trägt sie ein ganz ähnliches Kleid wie Du gerade, beginne ich.
    – Ja, kann sein. Diese Kleider sind unsere Arbeitskleidung. Wir ziehen sie an, wenn wir die Zimmer säubern, etwas reparieren, den Hof kehren und so weiter. Wir haben viele von diesen Kleidern, und wir tragen sie seit vielen Jahren.
    – Versteht Ihr Euch eigentlich gut?
    – Das geht Dich im Grunde nichts an, aber ich sage Dir jetzt einmal etwas dazu. Und zwar sage ich es, weil Du Dich ewig in dieser Sache täuschen könntest. Es wäre aber schade, wenn Du Dich ausgerechnet in dieser Sache nur deshalb täuschst, weil die Leute von Mandlica etwas Falsches erzählen. Sie werden Dir nämlich erzählen, dass wir sehr verschieden sind und uns nicht gut verstehen. Maria ist beliebter als ich, sie ist die heitere und gesprächige Person, mit der sich alle gut verstehen. Ich dagegen bin das seltsame, verquere Biest, mit dem man keinen Kontakt haben will. Ich bin eigensinnig, störrisch, ich lasse mich auf keine krummen Geschäfte ein. So sehen die Leute von Mandlica uns. Und dann haben sie natürlich gut in Erinnerung, dass Maria und ich einmal schwer aneinander geraten sind. Vor vielen Jahren, als ich mit Lucio verlobt war und Maria sich einmischte und Lucio dann doch Maria und nicht mich heiratete. Die Mandlicaner glauben, dass diese Sache Maria und mich auseinander gebracht hat. Sie glauben, dass ich Maria hasse und dass wir uns abgrundtief fremd oder gram sind.
    – Und das stimmt nicht?
    – Maria und ich – wir sind seit unserer Kindheit unzertrennlich. Das war immer so, und es ist so auch geblieben. Was meinst Du denn, warum ich noch immer hier lebe? Ich hätte nach dem Desaster mit Lucio doch auch verschwinden und Maria allein
zurücklassen können. Was aber habe ich getan? Ich bin für ein paar Wochen verreist, und dann bin ich wiederkommen. Während der Reise habe ich meine ganze Wut und meinen ganzen Ärger bekämpft und schließlich wohl auch halbwegs besiegt. Lucio sollte uns nicht auseinander bringen, dieser Mann nicht! Und so bin ich zurückgekommen und habe mich mit Maria versöhnt. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir uns wieder vertragen haben, aber wir haben es hinbekommen. Du siehst es ja, diese Pension funktioniert, und es ist unsere Pension, Lucio hat hier nichts zu sagen. Zu dritt sind wir also wieder miteinander ins Reine gekommen, Maria hatte ihren Lucio, und ich fand meine Ruhe wieder.
    – So war das also! Du hast recht, ich hätte, wenn Du mich nach Eurer Beziehung gefragt hättest, eine andere Version angeboten.
    – Ja natürlich. Und diese andere Version wäre auch sehr plausibel gewesen. Schließlich gehen Maria und ich nicht zusammen in die Öffentlichkeit, und schließlich erwecken wir auch sonst den Eindruck, wir gingen uns noch immer aus dem Weg.
    – Aber warum macht Ihr das, wenn Ihr Euch doch so gut versteht?
    – Das ist ganz einfach. Wir machen es, damit wir in den Augen der Mandlicaner als zwei selbständige Wesen erscheinen. Sie halten uns für so verschieden, dass sie mit bestimmten Anliegen entweder zu Maria oder zu mir kommen. Wir sind für sie keine Einheitsfront, die alles längst untereinander geklärt hat, eng zusammen kooperiert und immer einer Meinung ist, sondern wir sind zwei eigenständige Wesen mit eigenständigen Interessen. Deshalb kann es passieren, dass eine Person aus Mandlica mich sprechen will und mir, und nur mir!, erzählt, was meine Schwester Maria in dieser oder jener Sache behauptet und Schlimmes
getan oder entschieden hat. Sie schwärzt Maria bei mir an, und sie erwartet, dass ich gegen Maria vorgehe. So sind wir immer im Bilde, was die Mandlicaner über uns denken.
    – Fantastisch. Aber dafür nehmt Ihr in Kauf, dass Ihr niemals zusammen in der Stadt auftreten könnt!
    – Na ja. Müssen wir das unbedingt? Wäre das so ein großes Vergnügen? Nein, keine von uns will das. Wir frühstücken jeden Morgen zusammen, und wir essen jeden Mittag zusammen die guten Dinge, die eine von uns für uns beide gekocht hat. Wir sind, wenn niemand uns sieht, sehr viel zusammen, und wir erzählen uns fast alles, was uns durch den Kopf geht. Das sollte doch wirklich genug sein, und das ist auch

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