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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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steckt denn Maria?
    – Das weißt Du doch. Sie ist für ein paar Tage im Krankenhaus von Catania. Sie lässt sich gründlich untersuchen. Das macht sie jedes Jahr.
    – Ach ja, richtig, sie hat davon gesprochen.
    – Du musst also mit mir auskommen. Geht leider nicht anders. Aber vielleicht gefällt Dir die Abwechslung ja auch. Ich rede zwar nicht so viel wie Maria, aber ich mache das bessere Frühstück. Schau: Eine kalte Fruchtsuppe, ein sehr guter Kaffee mit Zimt, griechischer Joghurt aus Korfu mit Mandeln, Honig und Sesam. Einverstanden?
    – Sehr schön. Aber alleine kann ich das nicht alles essen.
    – Ist das eine Einladung zum gemeinsamen Frühstück?
    – Gute Idee, wir frühstücken zusammen.
    – Tun wir nicht. Was meinst Du, was dann über uns geredet wird!
    – Kümmert Dich das?
    – Nein, tut es nicht. Aber es verärgert Maria. Die mag so etwas nicht. Die ist auf unseren fantastischen Ruf bedacht. Sonst funktioniert diese Pension nicht.
    – Funktioniert sie denn?
    – Sind wir hier bei einer Deiner fulminanten Befragungsrunden? Der ganze Ort spricht davon, selbst den Bürgermeister hast Du angeblich bereits verhext. Er wälzt sich nachts unruhig im Schlaf und sehnt sich danach, Dir seine Wahlbetrügereien zu beichten. Beichten, beichten! Alle Welt will Dir beichten! Weißt Du, was Du angerichtet hast?
    – Du übertreibst, so schlimm ist es nicht. Ich tue nur, was ich immer tue, wenn ich meine Forschungen durchführe. Das ist nichts Besonderes.
    – Oh, das ist es doch! Du sollst vieles wissen, das zu wissen nur wenigen Menschen vorbehalten ist. Du sollst die geheimsten Gedanken der Leute lesen können.
    – Nein, so einfach ist das nicht.
    – Wie einfach ist es denn?
    – Manchmal weiß ich etwas Besonderes über bestimmte Menschen
einfach dadurch, dass andere es mir im Vertrauen erzählt haben. Und manchmal, nun ja, das stimmt, manchmal kommt es vor, dass ich so etwas wie eine plötzliche Erleuchtung habe und Dinge weiß, die ich eigentlich gar nicht wissen dürfte.
    – Was erzählen Dir die Mandlicaner denn zum Beispiel so im Vertrauen?
    – Zum Beispiel, dass Du mit Lucio verlobt warst und dass diese Verlobung später aufgelöst wurde und dass dies nur sehr selten geschieht.
    – Das erzählen sie Dir? Und weiter? Was erzählen sie noch über mich?
    – Das kann ich Dir nicht sagen, das ist geheim.
    – Nun gut, dann frage ich einmal anders. Schau Dir mal genau diesen Rollwagen an, den meine Schwester immer benutzt, um den Gästen das Frühstück zu bringen. Was denkst Du? Warum macht sie das? Warum benutzt sie Tag für Tag diesen unpraktischen, idiotischen Rollwagen, um jeden Frühstückstisch einzeln zu bedienen? Sie könnte den ganzen Frühstückskram auch als Buffet servieren. So machen das heutzutage doch alle. Ein Frühstücksbuffet! Wie in den USA! In den USA hat man die Frühstücksbuffets erfunden. Großartige Erfindung, findest Du nicht auch?
    – Ich hasse Frühstücksbuffets.
    – Ich auch. Gibt es einen vernünftigen Menschen, der sie nicht hasst? Jetzt aber zurück zu meiner Schwester: Warum benutzt sie den Rollwagen? Hast Du dazu auch eine Erleuchtung? Du kannst es nämlich nicht wissen, Maria spricht nicht darüber, sie tut, als sei es Gott weiß was für ein Geheimnis.
    – Ich weiß es dennoch.
    – Wie bitte?! Sie hat es Dir wirklich erzählt?! Das kann ich nicht glauben.
    – Sie hat es mir nicht erzählt, ich weiß es wahrhaftig nur intuitiv.
    – Und Du bist sicher, dass Du die richtige Intuition hast?
    – In diesem Fall ja, absolut.
    – Dann sag, los, sag es mir!
    – Sie benutzt die Rollwagen, weil die Rollwagen sie an ihre Zeit als Stewardess erinnern. Als Stewardess hat sie kleine Rollwagen durch die Mittelgänge der Flugzeuge geschoben. Das tut sie jetzt noch immer, sie bedient ihre Gäste wie eine Stewardess, einzeln, freundlich, ausgesprochen höflich. Sie fragt die Gäste nach ihren individuellen Wünschen, anstatt sie einem blöden, anonymen Buffet zu überlassen. Das ist das Geheimnis. Stimmt’s?
    – Mein Gott, ja, es stimmt. Jetzt wirst Du mir langsam unheimlich.
    – Wieso? Ich habe gewusst, dass Maria einmal als Stewardess gearbeitet hat. Und als ich sie jeden Tag mit dem Rollwagen kommen sah, dachte ich fast jeden Tag: Sie kommt mit dem Rollwagen, als arbeitete sie noch immer in Flugzeugen. Ich mag Stewardessen, ich mag sie gerade deshalb, weil sie einen im besten Fall so individuell und freundlich bedienen. Den Tomatensaft mit Eis und Wodka? Den

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