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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Wichtiges. Und du, du hast bloß …«
    »Wie kannst du es wagen!« Megan schoss so schnell auf ihn zu, dass Leo völlig überrumpelt war. Sie holte aus, aber Leo bekam ihren Arm zu fassen und hielt ihn fest. Sie holte mit der anderen Hand aus und traf Leo am Oberarm. Als sie das nächste Mal ausholte, bekam Leo auch ihren zweiten Arm zu fassen. Sie warf sich hin und her und versuchte ihre Arme loszureißen, die Leo an den Handgelenken festhielt.
    Er stieß sie von sich, und sie taumelte rückwärts. Wieder wollte sie auf ihn losgehen, aber Leo streckte die Arme aus, um sie fernzuhalten.
    »Megan! Was machst du denn da? Beruhige dich!«
    »Du Wichser! Du Arschloch! « Ihr Haar hatte sich gelöst. Ihr Pullover war verdreht, und sie wand sich und versuchte, ihn geradezuziehen. Dann begann sie zu weinen. Mehr als das, sie würgte und schluckte und schluchzte gleichzeitig. Sie ließ von ihrem Pullover ab und versuchte, sich die Haarsträhnen aus dem Mund zu ziehen, so als wollte sie Platz machen für Luft, aber sie klebten in ihrem Speichel, ihrem Schleim und ihren Tränen fest. Leo hatte Megan noch nie in einem so erbärmlichen Zustand gesehen, so verletzt und zugleich verängstigt.
    »Meg.« Er ging einen Schritt auf sie zu. Megan schniefte und schluchzte noch einmal, konnte aber wieder einigermaßen atmen.
    »Meg. Es tut mir leid. Es tut mir so schrecklich leid. Ich wollte nicht …«
    Sie wich zurück.
    »Ich brauche dich, Meg. Mehr denn je. Und du brauchst mich auch, das weiß ich.«
    Sie sah ihn an. Sie sah in seine Augen und durch sie hindurch. Es war nur ein Blick, aber eine klarere Antwort hätte Leo nicht bekommen können.
    »Meg.« Leo spürte, wie sich auch seine Augen mit Tränen füllten. »Meg, bitte. Bitte nicht. Bitte überlege doch mal kurz, bevor du …«
    Ein Klingeln. Das Geräusch, auf das sie die ganze Zeit gewartet hatten. Leo stand näher am Telefon. Er sah es an, dann wieder seine Frau. Sie stand wie erstarrt, die Hand kurz vor der Wange, die Lippen fest zusammengepresst. Eine Träne kullerte über ihre Wange, und sie ließ sie fallen.
    Das Klingeln. Wieder drehte sich Leo zum Telefon um. Seine Füße zeigten in die eine Richtung, seine Schultern in die andere.
    »Geh ran.«
    Leo sah Megan an.
    »Geh ran!«
    Leo stürzte zum Telefon, schnappte den Hörer. »Hallo?«
    Für einen Augenblick herrschte Stille am anderen Ende. Ein Rascheln, Stimmen im Hintergrund, schließlich ein Husten. »Hallo?«, erwiderte eine Stimme. »Mr. Curtice?«
    »Inspector?«
    »Sie sind da. Gott sei Dank.«
    »Was ist passiert? Was ist los?«
    »Sind Sie … Können Sie hier vorbeikommen?«
    Leo spürte, dass Megan neben ihm stand. Er drehte sich um und hielt den Hörer so, dass sie mithören konnte.
    »Natürlich. Aber was ist denn? Haben Sie ihn?«
    »Wir haben ihn, aber … Hören Sie, Sie müssen hierherkommen.«
    »Aber warum denn? Inspector? Haben Sie meine Tochter gefunden? Aber sie ist doch nicht etwa … Bitte sagen Sie nicht, dass sie …«
    »Fahren Sie nicht selbst, Mr. Curtice. Bleiben Sie einfach, wo Sie sind. Es ist schon ein Wagen unterwegs.«

27
    E r sagt, er redet mit niemandem außer mit Ihnen.«
    Sie gingen durch den Flur, und obwohl Detective Inspector Mathers eigentlich hätte führen sollen, gab Leo das Tempo vor. Er war erstaunt, wie viel um diese Uhrzeit auf der Wache los war. In den Nachtklubs der Stadt war jetzt Sperrstunde, was immerhin die Betriebsamkeit im Vorraum erklärte, aber auch hier im hinteren Teil war kaum ein Raum, in dem kein Licht brannte.
    »Einen Rechtsbeistand hat er auch abgelehnt«, sagte der Detective Inspector. »Will keinen Pflichtverteidiger. Sie sind der einzige Anwalt, dem er vertraut, sagt er. Das fand er offenbar witzig, bis ich ihn daran erinnert habe, warum er hier ist.«
    Leo ging langsamer. Er lachte? Er saß da, wartete … und lachte?
    Vor einer fensterlosen Tür blieben sie stehen. Mathers legte die Hand auf den Türgriff. »Hören Sie«, sagte der Detective Inspector. »Mir ist klar, dass das jetzt hart für Sie wird, aber es ist wichtig, dass wir Ruhe bewahren. Wir haben immer noch nicht Ihre Tochter, Mr. Curtice. Daran müssen Sie denken, egal, was er sagt oder tut.«

    Vincent Blake ging an der hinteren Wand hin und her und klopfte sich mit seiner Zigarettenschachtel auf den Oberschenkel. An einem Tisch, der wie ein Schultisch aus den Achtzigern aussah, saß mit dem Rücken zur Tür ein Polizist, der etwa das Doppelte von Blake auf die Waage

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