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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Unantastbarkeit von Gottes Wort hatte: dass alles Geschehene von A bis Z Leos Schuld war.
    »Ich wollte nicht, dass das passiert.«
    Obwohl ein trauriger Ton besser gewesen wäre, wie ihm dunkel bewusst war, spürte er, wie sein Zorn an Kraft gewann und an die Oberfläche drängte. »Oder glaubst du das etwa?«, hörte er sich sagen. »Dass ich wollte, dass das passiert? Dass es irgendwie die ganze Zeit mein Plan war?«
    Megan schwieg weiterhin. Alles an ihr schien sich zu verhärten.
    »Es tut mir leid, Meg! Ich weiß nicht, wie oft ich dir das noch sagen soll!«
    Sie sah ihn an. Starrte ihn einfach nur an.
    »Sie ist doch auch meine Tochter. Ich will sie doch auch zurück!«
    Keine Bewegung. Nichts. Keinerlei Regung – erst, als er einen Schritt auf sie zuging.
    Megan wich ihm aus, in den offenen Teil des Raums hinein. »Nicht«, sagte sie noch einmal.
    Nicht. Nicht nicht nicht.
    Leo hob die Hände. »Na schön.« Er ging so weit von seiner Frau auf Abstand, wie es die Kücheneinrichtung erlaubte. »Dann rede eben nicht mit mir. Fass mich nicht an. Tu einfach weiter so, als wäre ich Luft. Als wärst du die Einzige, die hier irgendeinen Schmerz verspürt.«
    Megan gab ein Geräusch von sich, das schwer zu deuten war. Verächtlich wahrscheinlich. Oder mitleidig?
    »Wir müssen das überwinden, Meg. Wir müssen darüber reden. Denn wenn sie ihn finden, wenn sie Ell…«
    »Nicht! Sag es nicht!«
    Also doch nicht mitleidig. Leo senkte das Kinn. »Was? Warum denn nicht? Sie werden sie finden, Meg! Wieso denn nicht? Entweder …« Er schüttelte den Kopf. Diesen Satz hatte er nicht beginnen wollen. »Das Foto. Sie brauchten nur das Foto. Damit können sie …«
    »Hör doch auf! Herrgott noch mal, Leo! Findest du denn nicht, du hast das Schicksal genug verhöhnt?«
    »Das Schicksal?« Leo spürte, wie er den Mund verzog. »Mit Schicksal hat das überhaupt nichts zu tun!«
    »Nein. Natürlich nicht. Stimmt, es geht um dich, das hatte ich vergessen. Es ging von Anfang an nur um dich!«
    Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht fair. Und das weißt du auch.«
    Megan sah ihn schräg an, als musterte sie ihn. »Und du meinst, das spricht dich jetzt von allem frei, ja? Du meinst, nur weil du irgend so ein blödes Bild gefunden hast, ist jetzt alles gut. Aber da hast du dich geschnitten, Leo! Es beweist eigentlich nur, wie viel Schuld du an der ganzen Sache trägst!«
    Leo breitete die Arme aus. »Das habe ich doch gerade gesagt! Oder etwa nicht? Ich hab doch gesagt, es tut mir leid!«
    »Und jetzt? Soll ich dir jetzt verzeihen?« Sie fasste sich an die Stirn, dann ließ sie die Hand wieder sinken. »Aber natürlich. Wie konnte ich das bloß vergessen. Im Leo-Universum funktioniert das so. Solange dir etwas leidtut, bist du für alles entschuldigt.«
    Leo lächelte. Er sah auf seine Uhr. »Bravo, Meg. Ganze, wie viel? Ganze dreißig Sekunden, bevor du den Fall aufs Tapet bringst?«
    »Ich hab kein Wort über deinen Scheißfall gesagt!« Sie wischte sich mit dem Ärmel über das Kinn. »Und wenn schon? Darf ich den etwa nicht mehr erwähnen? Darüber, dass deine Tochter entführt wurde, können wir sprechen, aber dass Daniel Blake wegen Mordes verurteilt wurde – sorry, das ist zu hart an der Schmerzgrenze, ja?« Megan presste eine Hand auf die Stirn. Sie machte den Mund auf, wollte noch etwas sagen, doch plötzlich kam es ihr offenbar sinnlos vor, so als kostete es zu viel Kraft. Stattdessen drehte sie sich um und ging. Sie ging einfach.
    »Es spricht mich nicht frei«, sagte Leo. Und eine innere Stimme fügte hinzu: Stopp. Belasse es dabei. Lass Megan gehen und danke dir dafür. Aber das war wenigstens etwas. Schreien, streiten: Es war besser, als gar nichts zu tun. Er wollte, dass Megan dablieb, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, wieder an den Punkt zurückzukehren, an dem sie vorher gewesen waren. Er hätte alles gegeben, um das zu vermeiden.
    »Es spricht mich nicht von allem frei. Das habe ich nie gesagt. Aber ich habe wenigstens etwas getan. Ich habe wenigstens irgendwas getan.« Er hielt inne, sah sie vorsichtig an. »Und du, Megan, was hast du getan? Außer mir Vorwürfe zu machen? Außer dich in deinem Elend zu suhlen und Tee zu kochen? Was hast du wirklich getan? «
    »Wie bitte?« Die Warnung in Megans Miene war nicht zu übersehen. Leo beachtete sie einfach nicht.
    »Ich bin rausgefahren. Jeden Tag. Bin durch die Gegend gefahren und gelaufen und habe sie gesucht. Und ich habe etwas gefunden. Etwas

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