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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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öffnete die Augen wieder. »Bitte hör mir einfach mal zu. Nur einen Moment.«
    »Was ist denn?« Leo runzelte die Stirn und streckte die Hand nach der seiner Frau aus.
    Megan zog sie weg. »Es geht um Ellie.« Sie verschränkte die Arme, dann ließ sie sie wieder sinken.
    »Ellie? Was ist mit ihr? Ist ihr was passiert? Wo ist sie?« Leo drehte sich um und wollte in den Flur gehen, aber Megan hielt ihn fest und führte ihn in die Küche.
    »Nein, ihr ist nichts passiert. Ich meine, sie ist nicht verletzt. Sie haben ihr nichts getan.«
    »Was? Wer hat sie verletzt? Wo ist sie?« Wieder steuerte Leo auf die Treppe zu.
    »Leo! Ich sage doch, sie ist nicht verletzt. Sie ist nur ziemlich aufgewühlt.«
    »Aufgewühlt? Warum das denn? Was ist los? Sag mir doch, was passiert ist, Megan!«
    »Herrgott noch mal, Leo!« Megan funkelte ihn an, bis er schwieg. »Sie ist ohne ihren Mantel nach Hause gekommen.«
    Leo wollte ihr schon wieder ins Wort fallen, aber diesmal ließ ihn seine Frau nicht. »Und ihre Bluse, die weiße Schulbluse, die war voller …«
    »Voller was?«
    »Blut. Es sah aus wie Blut.«
    »Um Himmels willen! Du hast doch gesagt, sie ist …«
    »Nein, ihr ist nichts passiert! Leo, sie ist nicht verletzt.«
    »Aber das Blut! Was denn sonst? Du meinst, es war nicht von ihr? Von wem dann? Mensch, Meg, warum hast du denn nicht …«
    »Es war nicht ihr Blut und auch nicht das von jemand anderem. Es war kein Blut, Leo. Es war Tinte.«
    »Tinte?«
    »Hat sie mir zumindest gesagt. Tinte. Rote Tinte. Aber ganz ehrlich, als sie da zur Tür reinkam … Sie hat geweint, aber versucht, es zu unterdrücken, und ihre Bluse, ihre Hände, ihr Gesicht: Alles war voll von diesem … diesem Zeug. Wie in einem Traum. Oder eher einem Alptraum. Wie in jedem Alptraum, den ich hatte, seit du diesen verdammten … Wahrscheinlich seit das arme Mädchen …«
    Leo ließ die Abschweifung nicht zu. »Aber warum war sie denn voller Tinte?«
    »Das wollte sie mir nicht sagen. Offenbar hat sie jemand damit überschüttet, aber …«
    »Überschüttet!«
    Megan verzog das Gesicht. »Ja, natürlich hat sie jemand damit überschüttet. Was dachtest du denn? Dass sie im Kaufhaus in der Schreibwarenabteilung gestolpert ist?«
    »Nein. Aber wer … Warum zum Teufel …«
    »Ich sag ja, sie wollte mir nichts sagen. Aber sie haben ihr den Mantel geklaut, nehme ich an, und sie müssen sie schikaniert haben, und aus irgendeinem Grund war sie danach voller Tinte. Vielleicht war es aber auch bloß …«, Megan schüttelte den Kopf, verneinte bereits, was sie gleich sagen würde, »… bloß ein Versehen oder so. Eine Teenagerblödelei, und auf einmal ist die Sache ein bisschen aus dem Ruder gelaufen.«
    Leo verzog spöttisch das Gesicht. »Ein Versehen?«
    »Kann doch sein! Ich weiß es ja nicht! Ich weiß doch auch nicht viel mehr als du!«
    »Na, das werden wir gleich haben. Wo ist sie? In ihrem Zimmer?« Leo wollte sofort losgehen, aber Megan war schneller.
    Sie schoss an ihm vorbei und presste den Rücken gegen die Tür. »Nein, Leo.«
    Leo merkte, wie sich seine Lippen zu einem humorlosen Grinsen verzogen. »Was soll das heißen, nein? Wir müssen mit ihr reden, Meg. Geh mir aus dem Weg.« Er machte einen Schritt nach vorn.
    Megan krallte sich am Türrahmen fest. »Das meine ich ernst, Leo. Erst, wenn du dich beruhigt hast.«
    »Wovon redest du, verdammt noch mal? Ich bin die Ruhe in Person!«
    »Du hast noch nicht mal deinen Mantel ausgezogen. Du bist rot im Gesicht, du schwitzt, und du brüllst herum. Du machst mir nicht gerade einen ruhigen Eindruck.«
    »Ach Gottchen.« Leo zog sich den Schal vom Hals und wand sich aus dem Mantel. »Zufrieden?«

    Bevor er klopfte, horchte Leo an Ellies Tür. Nichts – keine Musik, kein Fernseher –, deshalb klopfte er nur mit einem Fingerknöchel. Er legte die Hand auf den Türgriff und rechnete damit, dass abgeschlossen sein würde, aber das Schloss klickte, und die Tür gab nach.
    »Ellie?«
    Es war dunkel im Zimmer, nur Ellies Schreibtischlampe war an und leuchtete die Wand an. Auf dem Schreibtisch selbst standen ansonsten nur noch Ellies Computer, ein paar Nachschlagewerke und ein knallgelber Stiftehalter, in dem lediglich die abgekauten Enden der Stifte den allgemeinen Eindruck von Ordnung störten. Der Rest von Ellies Zimmer war ähnlich aufgeräumt. Selbst Leo, der keinen Blick für so etwas hatte, sah, dass ihre Poster – hauptsächlich Souvenirs aus Londoner Kunstgalerien – exakt

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