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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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immer sind.«
    Leo zerrte seine Frau durch den Flur in Richtung Garderobe. Auf halbem Wege kam er zur Besinnung und blieb abrupt stehen.
    »Wir sollten anrufen. Hast du die Nummer?« Er drehte sich um, ließ seine Frau los und ging in drei großen Schritten zum Telefontischchen. Er nahm den Hörer. »Die Nummer von der Schule. Wo hast du die?«
    »Von der Schule?« Megan machte große Augen. »Warum? Was ist passiert? Haben die angerufen? Ich hab gar nichts mitbe…«
    »Nicht die Schule uns! Wir müssen dort anrufen! Jetzt sag mir doch schon die Nummer!«
    Wieder zeigte Megan in Richtung Küche. »Ich hab sie im Adressbuch. In meiner Handtasche. Soll ich …«
    »Lass sein.« Leo wollte den Telefonhörer zurückstellen, aber er verfehlte die Halterung. Er ließ ihn liegen. »Wir fahren einfach. Los, fahren wir.«
    »Leo! Sag mir jetzt sofort, was los ist!«
    Leo hatte Megan wieder am Handgelenk gepackt, aber diesmal rührte sie sich nicht vom Fleck.
    »Was soll denn das? Wir müssen los!« Er zog, aber Megan versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.
    »Erst wenn du mir sagst, was los ist!«
    »Gleich.« Leo fuhr mit dem Finger über das Schlüsselbrett und nahm den Anhänger mit dem VW-Logo vom Haken. »Im Auto. Versprochen. Ich erklär’s dir, wenn wir im Auto sitzen.«
    »Was ist mit meinem Koffer? Und dem von Ellie? Ich muss mir wenigstens Schuhe anziehen, Leo!«
    »Hier!« Leo griff sich ein Paar aus dem Durcheinander auf der Fußmatte. »Und jetzt komm!«

    Megan saß neben ihm auf dem Beifahrersitz, einen Finger hinten im Schuh und die Wange gegen das Armaturenbrett gedrückt. Sie bückte sich und versuchte leise fluchend, die Füße in die Turnschuhe ihrer Tochter zu quetschen.
    »Und?«, fragte sie. »Erklärst du es mir jetzt?«
    Aber Leo hatte nur den Verkehr im Blick. Selbst am frühen Nachmittag mitten in der Woche ging es auf der zweispurigen Straße nur im Schneckentempo voran.
    Er trat auf die Bremse, und Megan fing ihr Gewicht mit den ausgestreckten Händen auf.
    »Jetzt ras doch nicht so!«
    Leo fluchte und gab Lichthupe. Der Fahrer des Busses vor ihm schien absichtlich noch weiter abzubremsen. Leo fluchte noch einmal. Er reckte den Hals, aber vorn war nichts zu sehen, es gab keinen Grund, warum der Bus da mit … meine Güte, mit dreißig durch die Gegend tuckern musste, obwohl doch hier – wie viel? – neunzig erlaubt waren. Er kam an einem Schild vorbei. Gut, dann eben sechzig. Leo setzte zum Links-Überholen an, aber direkt neben ihm fuhr ein Wohnmobil, und seinem Fahrstil nach zu urteilen, musste der junge Typ am Steuer entweder betrunken oder bekifft sein.
    »Leo! Bitte! Ich weiß ja nicht, warum du es so eilig hast, aber so kommen wir bestimmt nicht schneller an!«
    Endlich nahm der Bus Fahrt auf. Leos Tachonadel berührte die Sechzig, dann die Siebzig. Jetzt kamen sie voran, aber immer noch nicht schnell genug. Auf der Gegenfahrbahn – dort war natürlich alles frei – kam ihnen ein Krankenwagen entgegen, und Leo dachte an Blaulicht und Polizei: Ja, vielleicht hätten sie besser die Polizei rufen sollen. Aber dann wäre er gefragt worden, ob er schon mit der Schule gesprochen hatte; er hätte dort anrufen und dann zurückrufen müssen, und in der Zeit, in der er alles erklärt hatte – der Polizei, der Schule und dann wieder der Polizei –, konnten sie auch selbst zur Schule fahren. Das heißt, wenn nicht so viel Verkehr wäre.
    »Leo, bitte. Du machst mir Angst.«
    Ein Range Rover kam auf gleiche Höhe mit ihnen, und Leo zog kurz das Steuer hinüber, so als wollte er ihn rammen. Der Fahrer des Allradwagens ließ sich zurückfallen, und Leo fuhr in die Lücke und hielt auf den Kreisverkehr zu.
    »Wo wartet sie?«
    »Was? Leo!« Megan klammerte sich am Sitz fest.
    »Ellie! Wo wartet sie auf uns?«
    »Am Schultor! Wo … wo sie eben immer wartet.«
    Leo bremste ein wenig ab, rauschte aber immer noch im Dritten durch den Kreisverkehr. Die Temposchwellen, die wie Blasen auf der Seitenstraße lagen, nahm Leo so schnell, dass der Passat vorn mit der Schürze auf dem Asphalt kratzte. Es klang, als würde die Welt in Stück reißen, und Megan schrie jedes Mal auf. Sie drückte eine Hand gegen das Autodach und klammerte sich mit der anderen am Türgriff fest. Leo merkte, dass sie weinte.
    Vor ihnen stauten sich die Autos, und aus dem Schultor kamen Kinder gerannt. Leo zog die Handbremse an. Er riss die Tür auf und wollte aus dem Wagen springen, aber er war noch angeschnallt. Nach

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