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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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Blick zu sagen.
    »Leo. Ganz ehrlich. Ist das wirklich deine … Du glaubst doch sicher nicht, dass ich …«
    Er wartet.
    Sie senkt die Stimme. »Dass ich das gewollt habe.« Sie schüttelt den Kopf, und Leo wirkt plötzlich unsicher.
    »Die Scheidung«, sagt er schließlich, und seine Schultern sacken zusammen. »Stimmt’s? Ein endgültiger Schlussstrich. Bist du deshalb hier?«
    Megan schüttelt den Kopf. »Nein, Leo. Nein.« Fast muss sie lachen. Wie hat sie sich verhalten? Wie hat sie ihn behandelt, dass er so etwas vermutet?
    Leo sucht auf dem Tischtuch nach irgendeinem Zeichen. Dann sieht er Megan fragend an. Also? Was dann? Aber er schweigt.
    »Das Haus.«
    Memme.
    »Das Haus? Was ist damit?«
    Nichts. Vergiss das Haus. Es geht hier nicht um das Haus.
    »Ich … ich will es verkaufen.«
    Leo braucht einen Moment, um zu reagieren. »Gut. Das musst du wissen.«
    »Ich hatte schon mal einen Makler da. Du glaubst nicht, wie hoch er den Wert eingeschätzt hat. Also, den Rest würden wir natürlich aufteilen. Nachdem die Hypothek abbezahlt ist.«
    »In Ordnung. Kein Problem. Das musst du entscheiden.«
    »Du hast nichts dagegen?«
    »Was sollte ich denn dagegen haben? Es ist dein Haus, Meg. Darauf haben wir uns doch geeinigt.«
    »Ich wohne dort. Aber deshalb ist es nicht mein Haus.«
    »Nein, das nicht, aber …«
    »Es geht um eine Menge Geld, Leo. Willst du gar nicht wissen, wie viel?«
    Genug Watte jetzt. Das genügt, um den Schlag abzufedern. Aber was für eine Reaktion hat sie denn eigentlich von ihm erwartet, zumal wenn sie sich vor Augen führt, wie sehr sie ihre jeweilige Einstellung zum Geld geändert haben? Seit der Sache mit Ellie scheint es ihnen beiden kaum noch etwas zu bedeuten. Das ist der Grund – einer der Gründe –, warum die Trennung so problemlos vonstatten gegangen ist. Es gab nichts mehr, was sie zusammenhielt, nicht einmal mehr irgendwelche Komplikationen.
    »Ich verdiene genug, Meg. Ich vertraue dir. Verkaufe es, so gut du kannst, und nimm dir davon, was du brauchst.«
    Megan nickt. Sie spielt mit dem Strohhalm in ihrem Drink.
    »Meg.«
    Sie sieht hoch.
    »Es geht doch hier nicht um das Haus, oder?«, sagt Leo.
    Das Erstaunen steht ihr diesmal wohl ins Gesicht geschrieben. Aber andererseits, warum eigentlich? Sie kennt ihn, er kennt sie. Nach zwanzig gemeinsamen Jahren bleibt das nicht aus.
    Bloß dass Leo, falls sich heute nichts anderes herausstellt, Megan doch nicht so gut kennt, wie er glaubt. Er weiß zum Beispiel nicht, wie wütend sie ist – dass sie manchmal das Gefühl hat, an Hass zu ersticken. Er weiß nicht, wie sehr ihr Herz geschrumpft ist und wie hart sie deshalb sein kann, wie erbarmungslos. Nach zwanzig gemeinsamen Jahren und inzwischen einem Jahrzehnt des Getrenntlebens weiß er nicht, wozu seine Frau imstande ist.
    »Nein«, sagt Megan. »Es geht nicht um das Haus.«
    Und er weiß vor allem nicht, was sie getan hat.

20
    E r war sich der Widersprüchlichkeit die ganze Zeit bewusst. Einerseits wünschte er sich Beschleunigung, denn so viel stand fest: Das dauerte alles viel zu lange. Die Leute rannten nicht, sie spazierten. Sie stellten Fragen, dann noch mehr Fragen, und dann gingen sie und kamen mit denselben Fragen wieder zurück. Nur zur Klarstellung, sagten sie, obwohl Leo – schon beim ersten Mal, aber beim dritten Mal ganz sicher – alles klar und deutlich erklärt hatte. Er wusste das so genau, weil er auch wusste, wie viel Mühe es ihn gekostet hatte: vernünftig zu sein, obwohl er ausrasten wollte, sich zu besinnen und besonnen zu sein, obwohl er nichts anderes im Sinn hatte, als seine Tochter zu finden. Einige, mit denen er sprach, sagten ihm, er solle sich doch setzen. Sie boten ihm Tee, Kaffee, Wasser oder weiß der Geier was an und schlugen allen Ernstes vor, er solle sich setzen. Niemand setzt sich hier!, wollte er schreien. Niemand trinkt irgendwas! Niemand isst, schläft oder scheißt, bis wir meine verdammte Tochter gefunden haben!
    Als stünde es ihm zu, wütend zu sein. Als stünde es ihm zu, seinen Zorn gegen irgendjemand anderen zu richten als sich selbst. Noch mehr Eile. Noch mehr Geschwindigkeit. Einerseits war das wohl der einzige Weg, um nicht verrückt zu werden.
    Aber andererseits. Andererseits war jede Minute eine verlorene Minute, jede Sekunde eine verlorene Sekunde. Mit jedem Tick und jedem Tack schwand ein Stück vom Leben seiner Tochter, musste Ellie einen weiteren Moment leiden. Außerdem war es Zeit, die sie dringend

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